Werner Engelmann
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Zum problem des genderns im deutschen     

Im Oktober 2020 wurde von der Frankfurter Rundschau ein Diskussionsforum "Lasst uns spielen"eröffnet. (https://www.fr.de/politik/lasst-uns-spielen-90072416.html#idAnchComments)

Hier wird auf eine Plattform des deutschen Journalistinnenbunds verwiesen (Genderleicht.de).

Zugleich eröffnete verdi.de eine Plattform "Menschen machen Medien", mit anhängendem Kommentarteil (https://mmm.verdi.de/beruf/gendern-frage-von-macht-und-kreativitaet-59523).

Merkwürdiger Weise erfolgen diese Schritte zu einem Zeitpunkt, als die Entscheidungen in den betreffenden Redaktionen bereits gefällt sind.

 

Die Veröffentlichung der nachstehenden Analyse wurde vom zuständigen Pressebüro von Verdi unter einem fadenscheinigen Grund abgelehnt, es sei "nicht vorstellbar", dass sie "noch viele Leser erreicht und zur Debatte anstößt".

Der Tenor ist ziemlich eindeutig: Es darf - im Nachhinein - über das Wie einer getroffenen Entscheidung und den vorgeschriebenen Rahmen ihrer Umsetzung diskutiert werden, nicht aber über das Warum. Und ganz unerwünscht sind Beiträge, die deren Fragwürdigkeit aufzeigen.

 

Ich veröffentliche diese Analyse auf dieser Website, um interessierten Lesern selbst die Entscheidung darüber zu überlassen, ob dies zutrifft.

 

Die nachstehende Analyse hat zum Ziel, die Stringenz und Validität des theoretischen Ansatzes der "feministischen Linguistik" unter wissenschaftlich anerkannten Kriterien und Methoden der modernen Linguistik zu überprüfen, und sie kommt zu einem sehr eindeutigen Ergebnis.

 

Es sei daran erinnert, dass das angesprochene Projekt mit massiven Eingriffen in das grammatische und semantische System der deutschen Sprache unter dem Motto läuft, "die Genderdebatte zu versachlichen" und sich als Anleitung versteht, "Rollenklischees zu hinterfragen".

Es darf die Frage gestellt werden, ob bzw. in welchem Maß die Leiter/innen dieses Projekts sich selbst an dieses Motto halten.

 

Zu dieser Untersuchungen können Kommentare gegeben und Fragen gestellt werden, mittels des anhängenden Kontaktformulars unter "Gästebuch". Für einen kurzen Zeitraum sind auch Kommentare unter dem angegebenen Diskussionsforum der FR,"Lasst uns spielen" möglich: (https://www.fr.de/politik/lasst-uns-spielen-90072416.html#idAnchComments)

 

23.10.2020          

 

 

 

 

 

Werner Engelmann:

Rollenklischees hinterfragen -

Ist Gendern die Lösung?

22.10.2020

 

 

An die Redaktion "Menschen machen Medien"

https://mmm.verdi.de/beruf/gendern-frage-von-macht-und-kreativitaet-59523

redaktion-m@verdi.de

 

Vgl. auch FR, Lasst uns spielen!

https://www.fr.de/politik/lasst-uns-spielen-90072416.html

 

 

Vorbemerkung

 

Ich halte eine sachliche Auseinandersetzung in einer Angelegenheit, die alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft betrifft, für notwendig und begrüße ausdrücklich dieses Angebot auf FR wie auch auf dem Portal des Journalistinnenbundes  <www.genderleicht.de>.

Insbesondere ist eine sprachliche Reflexion in Hinblick auf Sensibilisierung der Wahrnehmung anderer und vor allem Andersartiger mehr als wünschenswert.

 

Das erklärte Ziel, "die Gender-Debatte zu versachlichen", kann aber nur erreicht werden, wenn ALLE auf ideologische Scheuklappen verzichten und sich darauf konzentrieren, was die GEMEINSAME Verpflichtung als Teil einer Sprachgemeinschaft betrifft.

Das bedeutet auch, entgegenlaufende Meinungen und Argumente ernst zu nehmen sowie bereit zu sein, eigene Positionen und theoretische Grundlagen kritisch zu hinterfragen.

Eine "Diskussion", bei der Sprache, die ALLE Mitglieder einer Sprachgemeinschaft umfasst, als Schauplatz eines Stellvertreterkriegs zwischen "Universalisten" und "Nationalisten" missbraucht wird, ist für alle schädlich. Auch "gut gemeint" ist noch lange nicht "gut gemacht", und darauf kommt es an.

Der Verfasser des vorliegenden Beitrags bekennt sich ausdrücklich zu einer Diskursethik im Sinne von Habermas und zu den Werten universalen Denkens, innerhalb der Sprachgemeinschaft wie nach außen, und weist von vornherein jeden Beifall aus nationalistischen Beweggründen zurück.

 

Zum Problem

 

Erklärtes Ziel des Portals ist "mehr Gendersensibilität im Journalismus".

Dagegen ist selbstverständlich nichts einzuwenden, sofern die Maßnahmen geeignet sind, dieses Ziel zu realisieren. Es geht allein um das WIE und nicht um das Ob.

 

Erfreulicherweise wird in den "Empfehlungen" (im Unterschied zu im Folgenden analysierten Verlautbarungen) weitgehend auf ideologisch bedingtes Getöse verzichtet.

 

Eine der wichtigsten Empfehlungen für "genderleicht schreiben" lautet:

"Hinterfragen Sie Rollenklischees."

Auch dem ist voll und ganz zuzustimmen.

Allerdings wird dabei Ziel und Methode des "Hinterfragens" bereits vorgegeben: Es wird alleine auf sprachliches "Gendern" bezogen. Und so findet bereits im Vorfeld eine problematische Verengung statt, die eine offene Diskussion verhindert. Es geht ja um Sensibilisierung der Wahrnehmung von anderen, nicht nur bezogen auf die Befindlichkeiten bestimmter Gruppen, sondern in jedweder Weise.

 

Zu eigenen persönlichen Erfahrungen

 

In überwiegend weiblicher Umgebung aufgewachsen und dann auch beruflich tätig, hat mich diese Frage ein Leben lang beschäftigt und zu einer ausführlichen Behandlung einer Grundfrage weiblicher Emanzipation in Form einer Romantrilogie ermutigt: Wie in der Nachkriegszeit, unter patriarchalen Bedingungen, die bewusstseinsmäßige Emanzipation eines Mädchens erfolgen konnte, und zwar in Auseinandersetzung mit einer vorausgegangenen - erzwungenen - Emanzipation der Tat der "Trümmerfrauen", die vorwiegend diesen Staat aufgebaut haben.

(Das Verhältnis von Frauen zu Männern nach dem Krieg war 160 : 100.)

Alle entsprechenden aktuellen Fragen, inklusive die Toleranz gegen Andersartigen (Homosexualität), sind hier bereits abgehandelt.

 

            (Dazu Rezension, über Google: Mario Lichtenheldt, Maria, Band 3,   http://www.literaturmarkt.info/cms/front_content.php?idcat=81&idart=3160).

 

Voraussetzungen für ein Hinterfragen von Rollenklischees sind bereits anthropologisch gegeben: insofern, als jeder Mensch - in unterschiedlichem Ausmaß - Weibliches und Männliches in sich verkörpert. Der vermeintlich "naturgegebene Antagonismus von Weiblichkeit und Männlichkeit" wurde von einen im 19. Jahrhundert gipfelnden Biologismus auf die Spitze getrieben, und dabei wurde der gegengeschlechtliche Anteil massiv verdrängt. Jede Form des "Differenzialismus" - auch gut gemeint - führt zwangsläufig in diese "Irrtümer" der Vergangenheit zurück.

Dies entspricht auch den Erkenntnissen der französischen Feministin Élisabeth Badinter, welche "die Gleichheit der Geschlechter und den Universalismus betont". (vgl. Wikipedia)

 

Solches Hinterfragen von Rollenklischees habe ich selbst bei der genannten Arbeit über 5 Jahre lang aktiv und bewusst praktiziert. Es ist eine permanente Arbeit an sich selbst, vor allem darin bestehend, Scheu vor unbewussten Bedürfnissen zuzulassen, ihnen eine Chance zu geben sich auszudrücken. Es ist eine Arbeit der Bewusstwerdung, die weit über sprachliche Ausdrucksformen hinausgeht. Zu keiner Zeit habe ich mich dabei durch die vorhandenen Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen eingeschränkt gefühlt oder Bedürfnis nach deren Veränderung empfunden.

 

Schlussfolgerung:

Rollenklischees abzubauen ist keine Frage der sprachlichen "Sichtbarkeit" aller Gruppen in der Öffentlichkeit, sondern vielmehr der Bereitschaft und Fähigkeit, sich selbst und seine eigene Rolle in Frage zu stellen, Andersartige zu akzeptieren und ihnen gegenüber Toleranz zu üben.

 

Zu den Ebenen der Auseinandersetzung

 

Die Auseinandersetzung ist auf verschiedenen Ebenen zu führen:

a. der theoretischen Fundierung;

b. dem Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit,

c. auf der pragmatischen Ebene in Form der Bewertung erfolgter praktischer Schritte.

 

Eine einigermaßen sichere Bewertung der Ebene c) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Dies sollte aber Hauptaufgabe bei Vorliegen ausreichender Erfahrungen sein.

Einzelne schon jetzt erkennbare Irrtümer oder Überspitzungen (so verunglückte Wortbildungen wie substantivierte Partizipien Präsens, z.B. "Studierendenwerk") sollten in diesen Gesamtzusammenhang eingebracht werden.

Umso notwendiger ist aber schon im Vorfeld eine Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der zugrundeliegenden Theoreme, die sich zwangsläufig auch in der Praxis niederschlagen.

 

Zu Literatur und Methode

 

Zur Straffung verweise ich auf folgende Beiträge, auf die ich mich wiederholt beziehe:

 

Theoretische Grundlagen des "Genderns":

 

(1) Luise F. Pusch:"Das Deutsche als Männersprache", Suhrkamp, 1991

 

(2) Anatol Stefanowitsch:

            "Warum Sprachwandel notwendig ist - Der Professor, die Professor, das Professor"-das-professor/26155414.html).

Hier handelt es sich um eine Zurückweisung des unter (6) genannten Vorschlags von Nele Pollatschek

 

Kritische Analysen:

 

(3) Élisabeth Badinter, "Fausse Route", 2003,

            deutsch: "Die Wiederentdeckung der Gleichheit. Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere feministische Irrtümer", 2004,

Sie analysiert und kritisiert das "Differenzdenken" und die "Viktimisierung der Frau" vor allem bei amerikanischen Feministinnen.

 

(4) Paul Pfeffer:

            https://mmm.verdi.de/beruf/gendern-frage-von-macht-und-kreativitaet-59523

Hier werden in straffer Form die wesentlichen Einwände zusammengefasst. Ich beziehe mich im Folgenden darauf mit einzelnen Exemplifizierungen.

 

(5) Dr. Arthur Brühlmeier, "Sprachfeminismus in der Sackgasse",

            http://www.bruehlmeier.info/sprachfeminismus.htm

Er bezieht sich vor allem auf das "generische Maskulinum", kritisiert die Verwechslung von "Genus" und "Sexus" und zeigt den daraus resultierenden "Sexismus" auf.

 

(6) Nele Pollatschek: "Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer"            

           https://www.tagesspiegel.de/kultur/deutschland-ist-besessen-von-genitalien-gendern-macht-die-diskriminierung-nur-noch-schlimmer/26140402.html.

Sie kritisiert die "Sexualisierung" und den Isolationismus der deutschen "feministischen Linguistik". Und sie macht einen praktikablen Gegenentwurf im Sinne einheitlicher, geschlechtsneutraler Bezeichnung für alle Geschlechter.

 

Sprachliche Begriffsbildung und Bewusstsein (zu Paul Pfeffer, These 2)

 

Als gesichert gelten kann (aufbauend auf entwicklungspsychologischen Forschungen von Piaget und Wygotski) die Erkenntnis von A.N.Leontjev ("Probleme des Psychischen"), dass bei der Begriffsbildung (und damit der Herausbildung von Bewusstseinsinhalten) nicht die Sprache, sondern das Handeln, also die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt die entscheidende Rolle spielt. Sprache begleitet dabei das Handeln, bedingt dieses aber nicht. Danach kommt der Sprache bei der Bewusstseinsbildung lediglich eine sekundäre Rolle zu.

Nach Marxscher Terminologie: "Das Sein bestimmt das Bewusstsein."

            (Vgl. dazu: https://www.kritische-psychologie.de/files/FKP_12_Peter_Keiler.pdf)

 

Die idealistische These, die der Idee des "Genderns" zugrunde liegt, nämlich dass Bewusstsein primär durch Sprache geprägt werde, wird nicht nur in der linguistischen Forschung vehement bestritten (vgl Wikipedia, "feministische Linguistik"). Sie ist nach vorliegender Forschungslage auch als wissenschaftlich nicht ausgewiesen und als undialektische Simplifizierung zu bezeichnen.

 

Beispiel:

Von der "feministischen Linguistik" werden als "Belege" (nicht näher benannte) "Untersuchungen" angeführt, nach denen das "generische Maskulinum" zwangsläufig "männliche" Assoziationen hervorbringe. Diese desavouieren sich selbst:

Zunächst, weil hier ein semantisch-pragmatisches Problem mit einer Frage der Systemlinguistik (Grammatik) durcheinandergeworfen wird. Vor allem aber wird die Untersuchung von vornherein und einlinig auf die Relation "Sprache" und "Bewusstsein" zurückgeführt. Der ursächliche Zusammenhang mit primären Faktoren, so der bewusstseinsbildenden Realität, wird dagegen ausgeklammert. Diese "Beweisführung" ist typisch für ein zirkelschlüssiges Verfahren.

Z.B. ergäbe sich, im Unterschied zu den genannten Untersuchungen, mit Sicherheit eine weit überwiegende weibliche Assoziation, wenn 15jährige deutsche Jugendliche, die nur eine Angela Merkel als Kanzlerin kennen gelernt haben, neutral (nicht sprachbezogen) zu der Person befragt würden, die Politik in Deutschland bestimmt.

 

Zur theoretischen Fundierung der "feministischen Linguistik"(zu Paul Pfeffer, These 2)

 

Jede bewusste Veränderung der Praxis bedarf theoretischer Reflexion und Begründung.

So etwa gingen der heute praktizierten Vorschulerziehung umfassende soziolinguistische und psycholinguistische Forschungen voraus.

Auf der Website "Gendern.de" wird aber die Frage der theoretischen Fundierung nicht einmal erwähnt, noch weniger werden die Behauptungen durch Benennung der Quellen überprüfbar gemacht.

Auch ist an keiner Stelle erkennbar, wo sich dieser Ansatz in dem ungeheuer breiten Spektrum der modernen Linguistik situiert und wie er sich legitimiert.

Lediglich indirekt lässt sich ermitteln, dass sich hinter diesem Konzept die Theorie der "Sapir-Whorf-Hypothese" verbirgt, die längst als widerlegt gilt. Nach dieser (auf Humboldt aufbauenden) Vorstellung vom "Weltbild der Sprache" wird das Denken im Wesentlichen durch die Sprache "determiniert". Von Whorf wird daraus auch auf "grundsätzliche Unübersetzbarkeit fremdsprachiger Texte" geschlossen.

Millionen von Zwei- und Mehrsprachlern widerlegen täglich diese These. (Vgl.Wikipedia)

 

Sprachauffassung und subjektive Befindlichkeiten: (Zu Literaturhinweis 1: Luise Pusch)

 

In exemplarischer Weise kann an der Mentorin dieses Ansatzes, Luise F. Pusch ("Das Deutsche als Männersprache") nicht nur eigene Selbstüberhebung studiert werden:

"Die feministische Linguistik entlarvt die Geschichte und Struktur der Sprachen als Männergeschichte und Männerstruktur." (Vorwort)

Deutlich erkennbar ist, dass Sprache nicht nach sachlichen Kriterien in ihrer Struktur, ihren Leistungen und ihren Veränderungen analysiert wird, sondern dass eine in dualistischem Denken befangene eigene Befindlichkeit auf diese projiziert wird. Dies führt notwendiger Weise zu selektiver Betrachtung und zu Verfälschungen. So etwa hat der durchaus sprachmächtige und zivilisierende weibliche Einfluss von Minnesang und Ritterkultur bei solcher Klischeehaftigkeit keinen Platz.

 

Nicht anders ihr Bild von vermeintlicher "Männlichkeit" heute:

"Wenn Ute Schülerin ist und Uwe Schüler, dann sind Ute und Uwe Schüler, nicht Schülerinnen - denn Uwe verträgt das Femininum nicht." (ebd., S.11)

Verräterisch ist hier vor allem die Begründung.

Nun könnte ich, nach Erfahrungen an mehreren Berliner, vor allem Kreuzberger Gymnasien, kaum eine Handvoll Kollegen nennen, auf die dieses Klischee in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch zugetroffen hätte.

An Frau Pusch aber scheint alles, was in der Nach-68er-Zeit passiert ist, spurlos vorübergegangen zu sein. Doch nicht nur das: Sie beschwört geradezu eine apokalyptische Situation herbei und nennt dies "sprachliche Vernichtung der Frau". (ebd.)

 

In diesem Verbalradikalismus erweist sich die Nähe zum amerikanischen Feminismus, dessen "Differenzdenken" und dessen fatale Tendenz zur "Viktimisierung der Frau" von der französischen Feministin Élisabeth Badinter scharf kritisiert wird.

            (Literaturhinweis 3, vgl. Wikipedia, Teil "Der falsche Weg".)

 

Subjektivistisch gelenkter Eklektizismus (zu Luise Pusch und Paul Pfeffer, kritisches Fazit):

 

Moderne strukturalistisch orientierte Linguistik unterscheidet sich - in ihren vielfältigen Ausprägungen - von herkömmlicher historisierender Sprachwissenschaft dadurch, dass sie nicht die historische Entwicklung, sondern die Sprache der Gegenwart ins Zentrum des Interesses rückt. Hier aber unterscheidet sie - nach de Saussure - streng zwischen Sprachsystem ("langue") und Sprechakt ("parole"). Eine elementare Unterscheidung, an der keine ernst zu nehmende "Linguistik" vorbeikommt. Und dies vor allem, wenn es um die Frage von Sprache und Bewusstseinsinhalten geht.

Denn sprachpsychologische Betrachtungen - darunter fällt auch das Verhältnis von "Denken und Sprechen" (vgl. das Werk von Wygotski) - sind nur im Zusammenhang mit Sprechakten ("parole") sinnvoll. Sprache und Sprechakte methodisch zu vermengen, einer Sprache als System, das per se von den individuellen Sprechern abstrahiert, eine "Männerstruktur" zu unterstellen, das ist ohne erkennbaren Sinn. Es stellt eine unwissenschaftliche Personifizierung und damit Mystifizierung von Sprache dar. Nur Individuen können ein Bewusstsein haben, niemals aber eine Sprache.

 

Mystifizierung und ideologische Instrumentalisierung des Vergangenen (zu Luise Pusch)

 

Auch Etymologie ist für die Frage, welcher Bedeutungsinhalt einem Wort aktuell zugeschrieben wird, belanglos. Zahllos sind die Beispiele grundlegenden Bedeutungswandels, meist mit pejorativer Tendenz. Am bekanntesten ist sicher der Wandel von "Frau" (mhd. "frouwe" - Herrin) zur Geschlechtsbezeichnung "Frau", und von der Geschlechtsbezeichnung "Weib" (mhd. "wip" - Frau) zur abwertenden Bezeichnung. Kein Mensch käme auf die Idee, die Anrede "Frau" als Unterwerfungsgeste zu interpretieren, da die entsprechende Bedeutung des Begriffs längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist.

Ebenso ist etwa der Ausdruck "mit Kind und Kegel" auch heute noch geläufig. Niemand aber denkt daran, dass mit dem Wort "Kegel" einst uneheliche Kinder gemeint waren, die nicht das Recht hatten, "Kinder" genannt zu werden. Und völlig abwegig wäre zu behaupten, dass, wer diesen Ausdruck verwendet, eine diskriminierende Absicht gegenüber bestimmten Kindern hätte. Es ist allein der Reiz der Alliteration, der diesen Ausdruck bis heute erhalten hat.

So funktioniert Sprachwandel, und nicht durch willkürliche Eingriffe in das grammatische System.

 

Eine eklektische "feministische Linguistik" scheut sich aber nicht, wo es ihr passend erscheint, auch in historisierende Betrachtungsweisen zurückzufallen, wenn sie keine anderen "Belege" für vorweg gefasste Beurteilung findet.

So die Kritik am unpersönlichen Pronomen "man". Natürlich ist dieses vor langer Zeit einmal aus dem Wort "Mann" entstanden, nicht anders als das französische "on" aus "homme". Für aktuelle Bewusstseinsinhalte ist dies aber völlig irrelevant. So wird im Französischen "on" auch oft synonym zu "nous" gebraucht - völlig unabhängig von der Zusammensetzung der Geschlechter.

 

Bei Luise Pusch finden sich aber noch abstrusere Formen der "Begründung".

Schon die Behauptung vom Deutschen als "Männersprache" erweist sich als bloßer Dogmatismus, der alle gegenläufigen Hinweise ignoriert. So etwa die Feststellung des Duden:

"Die deutsche Sprache ist mehrheitlich weiblich – ­zumindest wenn es nach der mengenmäßigen Ver­teilung der Artikel geht."

        (Genusangabe-im-Rechtschreibduden         

        https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Die-Verteilung-der-Artikel)

 

Luise Pusch freilich hält es freilich statt mit sachlichen Analysen eher mit Schaffung neuer Mythologien. So etwa in einem Interview:

"Sprachsystematisch und von der Entstehung her betrachtet ist es mit dem „-in“ wie mit Eva aus Adams Rippe: Die Frau wird aus dem Mann abgeleitet und hat einen niedrigeren Rang."

         (Luise Pusch, Hauptsache Gendern, https://www.jetzt.de/hauptsache-gendern/gendern-linguistin-luise-f-pusch-ueber-das-gendersternchen-und-geschlechtergerechte-sprache)

 

Die gleiche Mythologisierung unter Zuhilfenahme des Schöpfungsberichts (Genesis 1,27) findet sich auch in "Das Deutsche als Männersprache", hier gemixt mit einem dummen Spruch von Helmut Kohl. Und dies führt dann "konsequent" zur Schlussfolgerung:

"Und weil das alles möglich, üblich und rechtens ist in unserer Sprache, sagen wir Frauen nein zu dieser Sprache." (S. 16-19)

 

Schlimmer freilich noch, wenn sich die Autorin zur "Therapeutin" an der Sprache erhebt und so einen ganzen Berufszweig diskreditiert:

"Englisch und Deutsch sind beide sexistisch, aber das Englische ist leichter zu reparieren bzw. zu therapieren, wie ich es gern nenne."

        (Interview im feministischen Magazin "an.schläge" von 1918

        https://anschlaege.at/unsere-grammatik-bevorzugt-maenner/)

 

Eine Antwort auf eine brennende Frage bleibt die Autorin freilich schuldig: Ob ihre "Therapie" in Gedankenwelten von Ländern wie der Türkei oder Ungarn entführen soll, die nicht unbedingt als feministische Paradiese bekannt sind. Denn weder das Türkische noch das Ungarische kennt eine grammatische Differenzierung nach Geschlechtern.

 

Wo das Feindbild "Deutsche Sprache" dergestalt erst einmal konstituiert ist, ist keine Differenzierung und keine Reflexion über den eigenen Ansatz mehr zu erwarten. Es geht nur noch darum, wie die Sprache einer ganzen Gemeinschaft eigenen, subjektiven Bedürfnissen zu unterwerfen, wie sie in "kämpferischer" Weise zu "domestizieren" und grundlegend in ihrer Struktur umzumodeln ist.

 

 

Das "generische Maskulinum" als Feindbild oder die Sexualisierung der Sprache

            (zu Paul Pfeffer, These 1, 4, 5, Nele Pollatschek)

 

Das Prinzip der "feministischen Linguistik" ist - so lautet schon der Vorwurf von Margret Jäger in ihrer sehr ausführlichen Analyse, übereinstimmend mit Nele Pollatschek (Text 4) - ist die gezielte Sexualisierung.

            (Margret Jäger: Gewalt gegen Frauen - durch Sprache?

            http://www.diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Artikel/Gewalt_gegen_Frauen.htm,

            vgl. auch Wikipedia, "feministische Linguistik")

 

Zu dem Zweck plädiert Luise Pusch für eine Großaktion "Rettet das Femininum":

"Wie lässt es sich am besten retten, wiederbeleben und weithin verbreiten? Natürlich durch eine gezielte Allergie gegen das Maskulinum." ("Das Deutsche als Männersprache", S.11)

Der Ausflug in die Welt der Medizin, zur Kennzeichnung von Krankheitssymptomen, ist bezeichnend und entlarvend zugleich: "Sprachkritik" ist erkennbar nur Mittel zum Zweck.

In Wirklichkeit geht es um die unverhohlene Ankurbelung eines Geschlechterkampfmodus.

 

Im krassen Unterschied dazu ist das Grundprinzip jeder Grammatik in der grundlegenden Forschung von de Saussure (Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 1967) schon klar definiert:

Sprachliche Zeichen sind in ihrer Zuordnung von Zeichen und Bedeutung prinzipiell willkürlich ("l'arbitraire du signe"):

"Willkürlichkeit des Zeichens" bedeutet für das "Genus"(als grammatisches Ordnungsprinzip): Während "Sexus" im Prinzip von Natur festgelegt ist, hat "Genus" eine davon grundsätzlich unterschiedene Funktion und orientiert sich nur in wenigen Teilbereichen an "naturgegebenem Sexus".

Genus und Sexus sind prinzipiell völlig verschiedene Kategorien.

Artikel und Genus richten sich nach grammatischen Kategorien der Form, nicht nach der Bedeutung. Was für das Sprachverständnis dennoch kein Problem bedeutet. So sind etwa "das Männlein" und "das Mädchen", trotz neutralen Artikels, aufgrund ihres Inhalts eindeutig als männlich bzw. weiblich identifizierbar. Es besteht dementsprechend keinerlei Grund, hier reglementierend einzugreifen.

Selbst bei Bezeichnungen für eindeutig geschlechtliche Lebewesen wird die (vermeintlich) "natürliche" sexuelle Zuordnung oft nicht eingehalten ("die Lehrkraft" oder "das Mitglied").

Als "die neue Lehrkraft" vorgestellt zu werden, habe ich mehr als einmal erlebt, ohne dass mich das im Geringsten gestört hätte. Unsinnig, sich auf die Ebene von Unterstellungen einer Luise Pusch einzulassen, Männer würden das nicht "ertragen".

 

Dieser Grundirrtum der "feministischen Linguistik", die Verwechslung von Genus und Sexus, ist schon so oft erörtert worden, dass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.

Es sei daher lediglich aus einer Analyse von Dr. Arthur Brühlmeier zitiert, der auf die irreführende Bezeichnung "generisches Maskulinum" hinweist (Literaturhinweis 5):

 

"So sind insbesondere sämtliche Funktionen, die praktisch von allen Verben abgeleitet werden können und auf -er enden, trotz des maskulinen Genus nicht biologisch männlich, sondern androgyn zu verstehen. Ein Mensch, der liest, ist ein Leser, einer, der singt, ein Sänger und einer, der arbeitet, ein Arbeiter..."

Darauf benennt er zusammenfassend die Folgen dieses Irrtums:

"Darüber hinaus – und dies wiegt schwerer – führt diese Umdeutung des Übergeschlechtlichen in biologisch Geschlechtliches zum Verlust des wichtigsten Oberbegriffs der deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefassten Menschen. Konnte man ehedem von Einwohnern, Wanderern, Bürolisten, Musikliebhabern, Studenten (...). sprechen, ohne vorentschieden zu haben, ob es sich dabei um Männer oder Frauen handelt, weil dies im jeweiligen Zusammenhang vollkommen unbedeutend war, so tritt heute (...) die Betonung des Verbindenden, des Übergeordneten, der Funktion zurück und macht der Betonung der Geschlechtlichkeit irgend eines Funktionsträgers Platz. Damit wird der Sexismus nicht etwa (...) aus der Sprache entfernt, sondern erst konsequent in diese eingeführt."

 

Was also angetreten war, "Sexismus" in der Sprache zu bekämpfen, bewirkt in Wahrheit das Gegenteil. Und es setzt zugleich wesentliche Möglichkeiten zu differenzierter Wahrnehmung und Beschreibung der Wirklichkeit, welche die deutsche Sprache bietet, außer Kraft.

 

Beispiele für Folgen sexistisch betriebener Sprachverarmung in der Praxis und in der Literatur

(Paul Pfeffer, These 3,6):

 

Das ominöse "Studierendenwerk" ist ein Unwort nicht allein in ästhetischer Hinsicht, wie etwa "Auszubildende". Es spiegelt darüber hinaus eine "Realität" vor, die es gar nicht gibt und nicht geben kann.

Denn kein Student ist ewiger "Studierender", keine Studentin ewige "Studierende". Sie sind natürlicher Weise häufig auch "Schlafende", und es sei ihnen auch gegönnt, gelegentlich "Feiernde" zu sein.

In diesem Zusammenhang kommt es allein auf ihre Funktion, ihre hauptsächliche Tätigkeit des "Studierens", im Unterschied zu anderen beruflichen Tätigkeiten an, und in keiner Weise auf ihre Geschlechtlichkeit.

Erst für eine dezidiert sexistische Betrachtungsweise, welche den jeweiligen Kontext bewusst ignoriert, um daraus eine Prinzipienfrage zu machen, wird die neutral - oder wie in obigem Zitat "androgyn" - begriffene substantivierte Tätigkeit "Student" zu einem riesigen Identitätsproblem, das zu einem Problem der "Sprache" aufgebauscht wird: ein Problem, das nicht durch Sprache, sondern durch die subjektive Voreinstellung des Sprechers bedingt ist.

Die Interpretation in der genannten Weise dogmatisch vorzugeben, ohne den Kontext zu berücksichtigen, das führt in der Praxis zur Gleichschaltung wesensmäßig unterschiedlicher Bedeutungen und zeitigt damit unabsehbare Folgen für den Alltagsdiskurs - mehr aber noch für Literatur, die auf präzise Differenzierungen und Ausdrucksmöglichkeiten angewiesen ist.

 

Im beeindruckenden Roman von Alfred Andersch, "Sansibar oder der letzte Grund" werden unterschiedliche Überlebensstrategien im Faschismus beschrieben. Zentrale Bedeutung kommt darin der Plastik "Lesender Klosterschüler" von Barlach zu. Die Konzentration des "Lesenden" strahlt eine Kraft, eine Intensität von Leben aus, die es vor dem Zugriff eines barbarischen Nazismus zu retten gilt. Das Verständnis von der gewaltigen Bedrohung nicht nur für eine Skulptur, für Menschen, sondern für eine ganze Kultur steht und fällt mit der intensiven, aktuellen Erfahrung des "Lesenden": eine Erfahrung, derer künftige Leser beraubt werden, die über keinen Begriff dafür mehr verfügen, weil dieser Begriff als lächerlicher Ersatz für den verfemten "Leser" verordnet und seines bedeutungsstarken Inhalts entleert wurde.

 

Oder am Beispiel von Kafkas Erzählung "Die Verwandlung":
Kafka bezeichnet hier den Protagonisten Gregor Samsa nicht - wie umgangssprachlich üblich - als "Vertreter", sondern greift zur ungewöhnlichen Bezeichnung "Reisender", der immerfort "die Plage des Reisens" erlebt. Eine elementare Symbolik für den Menschen als ewig "Reisendem", der niemals ankommt.

Künftige Schüler-Generationen hätten sich mithin - so sich denn dieser Missbrauch durchsetzen würde - mit einem Kafka in Trivialform zu begnügen, einer Geschichte über einen x-beliebigen Vertreter, der niemanden interessiert.

 

Idealistische Sprachauffassung und reale Erfahrungen der Sprachlenkung

 

"Eine meiner Töchter will DFB-Präsidentin werden – nicht DFB-Präsident, das würde sich wirklich merkwürdig anhören." So die Überlegung einer FR-Userin.

            (https://www.fr.de/politik/lasst-uns-spielen-90072416.html#idAnchComments)

In dem Fall ist das auch nachzuvollziehen, handelt es sich hier doch eindeutig um eine einzelne weibliche Person.

Und dennoch stören sich viele Frauen, die in der ehemaligen DDR in einem eher als "männlich" angesehenen Beruf ihre Frau gestanden haben, die in Sachen realer "Emanzipation" westlichen Kolleginnen weit voraus waren, an solchem Sprachgebrauch nicht. Sich selbst als "Ingenieur" - und nicht als "Ingenieurin" - zu bezeichnen empfinden sie nicht als "merkwürdig". Noch weniger fühlen sie sich dadurch als "lediglich mitgedacht" oder "diskriminiert".

Es ist vielmehr Ausdruck eines weiblichen Selbstbewusstseins, das auf permanente Selbstbestätigung ihrer Weiblichkeit getrost verzichten kann.

Für sie zählt die Realität mehr als das Bild davon. Sie wissen ihre eigene subjektive Empfindung zu relativieren, sehen diese nicht als allgemeingültigen Maßstab an, der allen anderen übergestülpt werden könnte. Und sie wissen, dass Sprache mitnichten per se eine andere Wirklichkeit konstituiert.

Denn sie haben der naiven idealistischen Vorstellung, dass Sprache der Wirklichkeit vorauseilen, sie entscheidend verändern könne, eine wichtige Erfahrung voraus: Dass die Diskrepanz von Sein und Schein selbst das (scheinbar) perfekteste System zum Einsturz bringen kann. Dass jede Sprachregelung nur funktionieren kann, solange der Glauben an ihre Sinnhaftigkeit, an die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit erhalten bleibt, sowie die Bereitschaft, in diesem Sinne zu handeln.

Denn jedem an einer Sprachgemeinschaft Beteiligten ist es unbenommen, einer äußeren Bekundung einen inneren Widerstand entgegen zu setzen, Bedeutungen durch Ironie in ihr Gegenteil zu verwandeln. So ist Ironie Lebenselexier und Überlebensstrategie in jeder totalitären Gesellschaft.

Bezogen auf die zur Debatte stehende Fragestellung heißt das: Sprachreglementierung kann auch das exakte Gegenteil des Intendierten bewirken. Sprache kann auf Dauer gar nicht verordnet werden.

 

Eben das aber versucht nun ein Anatol Stefanowitsch als Mentor der deutschen "feministischen Linguistik", wenn er unverblümt verkündet, "nun sei es Zeit, Vorschriften zu erlassen".

Er desavouiert damit zugleich gegenteilige Beteuerungen, "keine Sprachpolizei" zu sein.

        (Forum "Menschen machen Medien" von verdi.de,

        https://mmm.verdi.de/beruf/gendern-frage-von-macht-und-kreativitaet-59523

 

Und er diskreditiert damit auch viele durchaus brauchbare Anregungen der Plattform "Gendern.de", die in der Tat zu Selbstreflexion und Sensibilisierung für Bedürfnisse und Sichtweisen anderer beitragen könnten:

So sie sich denn von einem ideologischen Ballast befreiten, der eine "sexistische Sprache" beklagt und zugleich deren Sexualisierung betreibt.

Der - so die französische Feministin Élisabeth Badinter - Frauen "viktimisiert", in "Differentialismus" abtriftet und letztlich in "Irrtümer" überholter Frauenbilder zurückführt, indem er die "Gleichheit der Geschlechter und den Universalismus" aus den Augen verliert.

 

"Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit"

 

In dem ausgesprochen interessanten Artikel "Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer" (Literaturliste, Nr. 6) fordert Nele Pollatschek, auf weibliche Endungen generell zu verzichten und die (in der Regel einfachere) "männliche" Form als neutrale (geschlechtslose) Form zu behalten, die unterschiedslos auf alle Geschlechter anwendbar ist.

 

"Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich behandeln und das heißt, sie gleich zu benennen."

 

Dieser Ansatz entspricht auch dem Konzept der Feministin Élisabeth Badinter, die in ihrem Werk "L'un est l'autre" (1986) (deutsch: "Ich bin Du") ausführt: "...durch die Gleichheit der Geschlechter hört der Kampf zwischen ihnen auf und macht einem gegenseitigen Verständnis und Vertrautheit Platz." (vgl. Literaturliste, Nr.3 und Wikipedia)

 

Für Élisabeth Badinter ist das kein Gerede, und Sprachkritik ist für sie nicht Ersatz für politisches Handeln. Inspiriert von Simone de Beauvoir, vertritt sie jene Richtung des Feminismus, welche die Gleichheit der Geschlechter und den Universalismus betont. Sie setzt sich für Menschenrechte ein und kämpft für Frauenrechte in der Realität. So hat sie mit ihrem Mann Robert Badinter darauf hingewirkt, dass von François Mitterand 1981 in Frankreich die Todesstrafe abgeschafft und diese 2007 in der französischen Verfassung verankert wurde.

Und sie kritisiert vehement einen rückwärtsgewandten "Feminismus" amerikanischer Prägung, der "die komplexe Wirklichkeit übersieht". Und der mit der Vorstellung einer "in Mann und Frau gespaltenen Menschheit (...) bald wieder auf die längst überholte Definition der weiblichen Natur zurück führt". (vgl. Wikipedia)

 

Nicht anders macht auch Nele Pollatschek den Isolationismus gegenwärtiger "feministischer Sprachkritik" in Deutschland deutlich.

Und sie verweist auf eine angelsächsische Sprachpolitik, die zum Ziel hat, "das Anzeigen von Gesachlechtlichkeit so weit wie möglich zu vermeiden".

Doch nicht nur im Englischen ist das so. Auch im Französischen wird eine Ministerin als "Madame le ministre" und nicht als "Madame la ministre" angesprochen.

 

Ihr Vorschlag, der in eben diese Richtung geht, die in Großbritannien wie in Frankreich verfolgt wird, greift auch das Verständnis von universalen, "androgynen" Bezeichnungen auf, die keine fatalen Eingriffe in ein Sprachsystem mit unübersehbaren Konsequenzen nötig machen. Er begreift Sprachveränderung nicht in dogmatischer Weise als ein Gegeneinander der Geschlechter, sondern als ein Miteinander:

"Natürlich gibt es Argumente gegen das generische Maskulinum. Das generische Maskulinum ist historisch männlich, diese Geschichte der Sprache kann man nicht ändern. Genauso, wie man nicht ändern kann, dass Frauen, bis 1918 nicht wählen durften. Aber man kann Bedeutungen verschieben. (...) Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit."

        ("Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer", a.a.O.)

 

Ein ausgesprochen interessanter Lösungsvorschlag, der aus dem Strudel befreit, in den "Gendern" bei einer geradezu unübersehbaren Fülle von nicht realisierbaren Fällen notwendigerweise gerät. Freilich wäre auch der noch auf die konkreten Anwendungen und Auswirkungen hin zu überprüfen.

 

Sichtbarkeit"als Beseitigung wissenschaftlichen Denkens

 

So weit möchte aber Anatol Stefanowitsch (Literaturliste, Nr.2) - der zweite Kronzeuge "feministischer Linguistik" neben Luise Pusch - es gar nicht erst kommen lassen. Nachdem er keinen validen Einwand gefunden hat, greift er den angeblich "bahnbrechenden Aufsatz" von Luise Pusch (Literaturliste Nr.1) auf und weist den Vorschlag von Nele Pollatschek schon im Vorfeld als vermeintlich im Deutschen nicht realisierbar zurück.

Dabei aber desavouiert er sich selbst.

So widmet die Duden-Grammatik schon seit langer Zeit dem Kapitel "natürliches und grammatisches Geschlecht" viele Paragrafen, führt unzählige Fälle nach allein grammatischen Kriterien an und fasst explizit zusammen:

"Die Einteilung des grammatischen Geschlechts entspricht nicht der vorgegebenen Zweiteilung des natürlichen Geschlechts." (2. Auflage, § 1255)

Das freilich ficht einen Herrn Stefanowitsch nicht an, der sich im Gegenteil auf eine angebliche Identität von Genus und Sexus versteift und behauptet, dass es "im deutschen Wortschatz auch ohne diese Nachsilbe (-in) eine perfekte Korrelation gibt." (a.a.O.)

Zu dem Zweck wird kurzerhand die grammatische Genuszuordnung durch das Suffix -chen in "das Mädchen, das Väterchen" zur "Ausnahme" erklärt und alles andere (die 2. Duden-Auflage führt allein für diesen Fall 62 verschiedene Möglichkeiten auf) einfach eliminiert.

Schlimmer kann nicht unter Beweis gestellt werden, dass für Dogmatiker nur das in der Realität existiert, was ihren ideologisch bestimmten Vorfestlegungen entspricht.

 

Dabei stellt sich natürlich die Frage, welche Kriterien dann in einer solchen Dogmatik als entscheidend angesehen werden. Aufschlussreich ist dafür die Begründung:

"Allerdings muss dieses Recht (auf geschlechtsneutrale sprachliche Formen) gegen das Recht auf Sichtbarkeit abgewogen werden. (...) Das gilt erst recht für nicht-binäre Menschen, die wir oft vergessen und an deren Existenz viele Menschen zweifeln, wenn sie überhaupt schon einmal über die Frage nachgedacht haben." (a.a.O.)

 

Es bleibt wohl das Geheimnis von Herrn Stefanowitsch, wie und wieso denn "nicht-binäre Menschen" allein durch ein "Sternchen" "sichtbar geworden" sein sollten.

Erschreckend aber ist vor allem, dass die eigenen heeren Bekundungen, es gehe um "Geschlechtergerechtigkeit" und "Sensibilität" im Sprachgebrauch, Lügen gestraft werden - und zwar in eben dem Moment, in dem eine einfache und durchaus praktikable Lösung angeboten wird. Entscheidend ist für ihn allein und erklärtermaßen das behauptete - obwohl nicht stringent nachgewiesene - "Recht auf Sichtbarkeit".

 

Glaubwürdigkeit und Bereitschaft zu offener Diskussion sehen anders aus.

 

"Sichtbarkeit" alias "Repräsentation": Zur Refeudalisierung des Denkens

 

Der politische Stellenwert einer solchen absoluten Forderung nach "Sichtbarkeit" wird in einer soziologisch-historische Analyse deutlich:

Dieser Begriff entspricht dem der "Repräsentation" im Feudalismus und im Absolutismus: Tatsächlich vorhandene Macht wurde sichtbar gemacht und vor dem Volk "repräsentiert".

Das ging so lange gut, bis von einem ökonomisch erstarkten Bürgertum in der französischen Revolution gegenüber einem unproduktiven, in konkurrierender "Repräsentation" sich erschöpfenden Adel auch die politische Machtfrage gestellt wurde.

Erst der Spätkapitalismus - so die Analyse von Jürgen Habermas in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" - zeitigt wieder ähnliche Erscheinungen der Dekadenz und eine Rückkehr zu feudalen Denkweisen:

"Die Auflösung von kritischer Publizität in manipulative Werbung ließ selbst die formal demokratisierte Politik verkümmern. Sie führte zur bloßen Inszenierung von Öffentlichkeit und zu ihrer Refeudalisierung: Die monarchische Repräsentation kehrte zurück, diesmal in Form von Public Relations mehr oder weniger privater Personen und Verbände, die ihre privaten Interessen als allgemeine darstellen wollen." (§ 20f.).

 

In kaum zu übertreffender lächerlicher Weise zeigt sich das etwa im "America great again" eines Donald Trump.

Doch diese Analyse trifft wohl auch in diesem Fall - insbesondere bei der Erklärung privater Interessen als angeblich "allgemeine" - den Nagel auf den Kopf.

Dies zeigt sich einerseits in einer - von zwei Seiten betriebenen - aggressiven Verschiebung des Diskurses über ein Problem, das die Sprachgemeinschaft in ihrer Gesamtheit betrifft, auf eine kontradiktorische, von ideologischen Verhärtungen bestimmte explizit politische Ebene, wie auch in einem quasi missionarischen Eifer, der mit Unterstellungen gegen jeglichen Einwand nicht geizt.

So auch Stefanowitsch, der das Patent auf "Sprachwandel" für sich reklamiert und dem, der eine Gegenmeinung vertritt, unterstellt, diesen verhindern zu wollen (Vgl. den Titel "Warum Sprachwandel notwendig ist").

Andererseits zeigen sich aber - über die aufgezeigte Isolierung hinaus - auch Tendenzen einer Abgehobenheit von Realität: Oberstes Kriterium ist das Verlangen nach weiblicher "Sichtbarkeit" im Abbild der Realität, der Sprache. Gesellschaftliche Einflussnahme in der Realität kommt dagegen nicht in den Blick, ebenso wenig wie reale Repräsentation in politischen Parteien oder DAX-Vorständen - wo solche doch mehr als überfällig wäre.

Es geht allein um sprachliche Abbildung der Realität, nicht um diese selbst.

 

Scheideweg zwischen Dogmatismus und Pragmatik

 

Das Konzept der Veränderung von Wirklichkeit durch Sprache ist nicht so neu - so "revolutionär" sich seine Vertreter auch gebärden.

Schon die Ritterkultur des Hochmittelalters versuchte, durch Verehrung der Frau (als "Herrin") im Kult des Minnesangs über Sprache zivilisierenden Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Sie wurde getragen von einer bedeutenden und einflussreichen sozialen Schicht der "Ritter". Und dennoch überlebte dieser Frauenkult nur wenige Jahrzehnte. Mit dem Niedergang des Rittertums, der Pervertierung seiner Ideale im Raubrittertum ging auch er unter.

Und im heutigen Bewusstsein hat nur noch die Persiflage eines Miguel de Cervantes im "Don Quijote", die Lächerlichkeit seines Kampfes gegen Windmühlenflügel überlebt.

 

Und die Romantik entwarf die - zunächst großartig anmutende - Idee des "Romantisierens", das die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit niederreißen, der völligen Subjektivität zum "Recht" verhelfen wollte. Sprachliches Mittel dafür war die "romantische Chiffre". Die aber verflachte im Zuge endloser Wiederholungen, wurde inhaltsleer. Und schon bei Heine zeigte sich die Doppeldeutigkeit "romantischer Ironie" und der Umschlag in den späteren kruden Realismus.

 

Es spricht viel dafür, dass - jetzt schon lächerliche - partizipiale Substantivierungen, dass "Sternchen" und "Gender-Gap" das gleiche Schicksal "erleiden" werden. Dass verkrampfte Versuche der Sexualisierung zunächst noch, mehr oder weniger widerwillig, hingenommen, dann routinemäßig überlesen werden, ohne dass die inhaltlich entleerten Begriffe wirkliche Bewusstseinsänderung bewirken könnten. Und eher früher als später wird es wieder verschwinden.

Denn wirkliche Sprachentwicklung findet nur statt, wenn dies von der überwältigenden Mehrheit der Sprecher so gewollt wird. Und das wiederum wird bedingt durch eine sich verändernde Wirklichkeit.

 

Es wäre kontraproduktiv, einer sowieso schon ideologisch verhärteten Auseinandersetzung nur in derselben Weise einen weiteren Aspekt hinzuzufügen. Es geht um pragmatische Lösungen.

Eine Bewegung, die ihre Bekundung ernst nimmt, "die Gender-Debatte versachlichen" und "Gendersensibilität" herstellen zu wollen, kann es sich gar nicht erlauben, ernsthafte und durch Sachkenntnis ausgewiesene Bedenken in den Wind zu schlagen, Kritiker (wie Herr Stefanowitsch es tut) pauschalisierend der "Frauenfeindlichkeit" zu verdächtigen, und so vorhandene, fatale gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.

         (Vgl. Forum "Menschen machen Medien", a.a.O.)

 

Sie muss sich einer offenen Diskussion stellen, die nicht von vornherein das Ziel schon vorgibt, auf das Wie reduziert, die auch die Frage nach dem Warum und dem Wohin mit einbezieht.

Und dazu muss sie sich auch ihrer eigenen - expliziten wie impliziten - theoretischen Voraussetzungen und Implikationen bewusst werden und diese offen diskutieren.

Denn von einer solchen Bereitschaft und Selbstreflexion hängt wesentlich mit ab, ob das proklamierte Ziel tatsächlich erreicht und zu breiterer gesellschaftlicher Bewusstwerdung beigetragen wird.

 

Absicht der voranstehenden Erörterung ist nicht nur, die theoretische wie methodische Brüchigkeit eines Konzepts aufzuzeigen, das in eine Sackgasse führt. Es soll auch die Reflexion über Implikationen eines gut gemeinten Konzepts befördern, um Lächerlichkeiten und Verabsolutierungen vorzubeugen und vor allem  zu verhindern, dass der ideologische Graben noch verbreitert, die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorangetrieben wird.

Dies setzt die Bereitschaft voraus, valide und realisierbare alternative Konzepte zu diskutieren, die nicht einen ganzen Rattenschwanz an unlösbaren Problemen mit sich ziehen.

 

So ist auch der Ansatz von Nele Pollataschek (Beitrag 4) zu verstehen, wenn sie betont:

"... diese Geschichte der Sprache kann man nicht ändern. Genauso, wie man nicht ändern kann, dass Frauen, bis 1918 nicht wählen durften. Aber man kann Bedeutungen verschieben."

 

Und das heißt konkret:

Jede Generation hat die Chance, ihre Wirklichkeit zu ändern, und sich in Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umwelt mit ihr auch die Sprache.

Und in einer demokratischen Gesellschaft geht es nicht darum, Geschlechter gegeneinander auszuspielen, auch nicht um irgendwie erschlichene "Sichtbarkeit". Es geht um echte Gleichberechtigung und Mitwirkung, um gemeinsames Handeln.

Es geht um Sensibilität und gegenseitigen Respekt, die - so sie denn in der Realität vorhanden sind - sich auch in der Sprache auszudrücken haben.

 

Im Sinne auch von Élisabeth Badinter:

Das Konzept zur endgültigen Überwindung des Patriarchats ist die "Gleichheit der Geschlechter" in der Realität.

("L' un est l'autre", 1986, deutsch: "Ich bin Du")

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