Werner Engelmann
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1) Eindimensionales Sprachverständnis

 

 

1.  Eindimensionales Sprachverständnis

     und Abstraktion vom Wesentlichen

 

 

 

Der Gendern-Ansatz sieht die Ursache verbreiteter „patriarchaler“ Denkmuster im System der Sprache und meint, diese mit radikalen Eingriffen in das Sprachsystem und mit verordnetem Sprachverhalten beseitigen zu können. Schon am aktuellen Geschehen zeigt sich aber, dass dieser theoretische Ansatz in die Irre geht.

 

Denn Sprache spielt bei der aktuellen Herausforderung Europas durch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine keine Rolle - zumindest, was die geschlossene Abwehr durch demokratische Länder betrifft. Vielmehr wird Europa, von Sprachen- und Kulturvielfalt geprägt, durch gemeinsame, demokratisch fundierte Werte zusammengehalten, sowie durch den gemeinsamen Willen, diese zu verteidigen. Und dies über Sprachengrenzen hinweg. 

Auch ist zweifellos der russischen Sprache das Attribut einer Kultursprache nicht abzuerkennen. Es ist für den Wahn russischer imperialistischer Aggression ebenso wenig verantwortlich wie die deutsche Sprache für den Größen- und Vernichtungswahn des Dritten Reiches schuldig zeichnete. Und sie ist auch nicht Schuld am Patriarchat.

 

 

Linguistisch liegt der Gendern-Praxis die „Sapir-Whorf-Hypothese“ zugrunde, welche Wilhelm v. Humboldts Vorstellung vom „Weltbild der Sprache“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgreift. Danach präge Sprache für sich allein das Denken des Menschen. Diese Erklärung ist eindimensional und gilt in der Linguistik als überholt bzw. widerlegt. Denn sie blendet den entscheidenden Faktor aus, nämlich das konkrete Handeln, das konstitutiv ist für Spracherwerb und Denken:

Sprache und Denken stehen in einem dialektischen Wechselverhältnis. 2

Sie bilden sich gemeinsam heraus, im Zuge der Auseinandersetzung mit der jeweils umgebenden Wirklichkeit. Dies ist eine in Psycholinguistik und ontogenetischer Sprachforschung längst gut belegte Tatsache.

 

Das heißt konkret: Sprache schafft nicht Wirklichkeit, sondern bezeichnet sie.

Die Menschen interpretieren bereits vorhandene sprachliche Begriffe neu: Sie füllen diese mit neuen Inhalten, indem sie sich mit der neuen Wirklichkeit aktiv auseinandersetzen.

Eine sich verändernde Wirklichkeit verändert sowohl die Sprache als auch das Denken.

 

    Das grammatische System bleibt dabei erhalten. Die Sprache wird lediglich lexikalisch ergänzt, etwa um neue Erscheinungen (so wie „Computer“) zu bezeichnen.

    Sprache folgt so, freilich mit zeitlichem Abstand, von sich aus der veränderten Wirklichkeit, ohne dass ein äußerer Eingriff nötig wäre.

 

    Gendern-Fans meinen, diese sprachgeschichtlichen Fakten mit trivialen „Argumenten“ beiseite wischen zu können: Sprachveränderung habe es ja immer gegeben - so meint man, die Gendern-Praxis rechtfertigen zu können.

 

Selbstverständlich gab es Sprachwandel zu allen Zeiten, da sich ja Wirklichkeit stetig verändert. Doch der vollzog sich ganz anders, als Gendern-Fans pauschalisierend behaupten.

 

 

So fand im Mittelalter, um 1200, Repräsentation von Feudalherrschaft kulturell und sprachlich ihren Ausdruck in der „hohen Minne“, der Verehrung der Feudalherrin („frouwe“). Mit dem sozialen Aufstieg von Ministerialen speech_ende(mit Beamten heute vergleichbar) zu „Rittern“ wurde daraus echte Liebeslyrik in der „niederen Minne“: Das Wort „frouwe“ wandelte seine Bedeutung von „Herrin“ zur Geschlechtsbezeichnung „Frau“.

 Die Sprache folgte so einer bereits gegebenen neuen Wirklichkeit.

 

    Nie aber wurde so umfassend und willkürlich eine neue Wirklichkeit mittels Sprache zu schaffen versucht wie durch die Gendern-Bewegung. Nie wurde ein ganzes grammatisches System umgemodelt und für ideologische Zwecke instrumentalisiert.

    Und selbst diktatorische Regime beschränkten sich zum Zweck der Lenkung von Massen auf lexikalische Mittel der Verschleierung („Sonderbehandlung“) oder Propaganda („antifaschistischer Schutzwall“).

 

 Mit natürlichem Sprachwandel hat also der voluntaristische Eingriff der Gendern-Bewegung in das Sprachsystem nicht das Geringste zu tun.

 

 

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist festzuhalten, der natürlichen Sprachwandel als produktiv von der Gendern-Ideologie in ihrer eher destruktiven Wirkung unterscheidet:

 

Die Grundfunktionen der Sprache werden durch natürlichen Sprachwandel vollständig erhalten:

- einerseits die Realität möglichst differenziert abzubilden,

- andererseits eine differenzierte Kommunikation in der Sprachgemeinschaft zu gewährleisten.

 

Differenzierte, verstehende Kommunikation zu pflegen, dies ist die wichtigste Aufgabe von Sprachunterricht und Sprachpflege. Es ist zugleich Voraussetzung, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Sprachgemeinschaft zu erhalten.

 

Wie dies konkret zu geschehen hat, das wird im 9. Abschnitt erläutert.

 

Zugleich verbietet es sich - in linguistischer, moralischer wie politischer Hinsicht -, Sprache zu anderen Zwecken zu instrumentalisieren, wie dies in der Gendern-Praxis geschieht.

 

 

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2   Schon zu Humboldts Zeiten wurde dieses dialektische Verhältnis von Sprache und Denken diskutiert.

So verfasste Heinrich von Kleist 1805 den Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.

Dies macht deutlich, in welchem Maß die zur Ideologie erstarrte Gendern-Theorie von der Sprache historisch zurückfällt. 

Eine pdf-Version des Textes von Kleist, mit einem interessanten Vorwort über dogmatische und pragmatische Einstellung zur Sprache, ist herunterzuladen unter: 

 https://spiekermann.com › Kleist_speech_ende

 

 

 

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