Gendern-Ideologie und Rechtsradikalismus
oder
Ungleiche siamesische Zwillinge
Kurzessay von Werner Engelmann
April 2024
Siamesische Zwillinge stammen aus einer Eizelle. Ohne den anderen nicht lebensfähig, sind sie ein Leben lang aneinander gebunden. Das schließt nicht aus, dass ihre Identität verschieden sein kann. Dies zeigt der Fall von Laury Lynn und Raba Schapell: Raba erklärte 2017, transsexuell zu sein.
Und wie ist das Verhältnis von Gendern-Ideologie und Rechtsradikalismus? Nach außen gibt es keine größeren Gegensätze. Ist ein solches Bild also legitim? Ist es nicht provokatorisch?
Zur Vorklärung der Vergleich des jeweiligen Selbstverständnisses:
Rechtsradikale glauben sich per se im „Besitz“ der „historischen Wahrheit“ – selektiv ermittelt an „historischen Belegen“ und einzig „wahrer“, da „rechter“ Interpretation. Daraus abgeleitet das „Recht“, ganzen Völkern die „völkische“ Sicht aufzuoktroyieren, mitsamt daraus folgender Konsequenzen.
Auch wenn Hundertausende von Menschen zu „Remigration“ getrieben, wenn es sein muss, auch „geopfert“ werden „müssen“. – „Wo gehobelt wird, fallen Späne.“
Die Gendern-Gemeinde meint, “rechtmäßig“ im „Besitz“ der „Sprache“ zu sein. Als „Vorhut der Gesellschaft“, in missionarischem Drang, will sie die übrige Sprachgemeinschaft auf den rechten „linken“ Weg zu führen, der allseits waltendes „Patriarchat“ beenden werde.
Nachfrage, gar Kritik erscheint als Sakrileg. Kraft „gendergerechter Sprache“ ist man ja Inhaber von „Moral“ und „Gerechtigkeit“.
Dazu eine bescheidene Nachfrage: Wurde also die DDR dadurch zum demokratischen Staat, dass sie sich „demokratisch“ nannte?
Diese im Ansatz so unterschiedlichen Bewegungen haben sich gegenseitig als Lieblingsfeinde auserwählt. Das garantiert andauernde öffentliche Aufmerksamkeit – zu gegenseitigem Nutzen.
Und zu wessen Schaden?
Als Beispiel dazu ein Kommentar von Karin Dalka, stellvertretende Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“:
„Seit Jahren wird vor allem auf der politischen Bühne von Rechts ein Kulturkampf gegen das Gendern in der deutschen Sprache geführt. Oft sehr laut und hässlich.“ 1
Schnell sind die Sündenböcke ausgemacht, die so hemmungslos gegen eine unschuldige Gendern-Gemeinde agitieren: „Sprachreaktionär:innen“, denen es nur um eines geht: „männliche Dominanz-strukturen zu retten“. „Sprachpolizist:innen“, die „gegen die Vielfalt und Lebendigkeit der deutschen Sprache kämpfen“. –
Mit einfachen Gleichungen ausgedrückt:
Gendern = Lebendigkeit = Fortschritt; Gendernkritik = reaktionäre Männerherrschaft = rechts.
„Kulturkampf gegen das Gendern … von Rechts“…?
Und wie steht es mit dem Kulturkampf von Seiten der Gendern-Ideologen? –
Und à propos: Woher bloß stammt das Bild von den „Sprachpolizist:innen“?
Richtig! Dieses Wort ist - nicht gegendert, versteht sich - „AfD-Sprech pur“.
Welch grandioser Einfall: Mit dem Pathos der „verfolgten Unschuld“, gekleidet ins hetzerische Sprachgewand des Lieblingsfeinds, gegen Kritiker zu Felde zu ziehen.
Schnell lernen Zauberlehrlinge der Sprache von den Meistern der Hetze.
Der Anlass zu solcher Übung ist klar, und er wird hier auch genannt:
Die Gendern-Fraktion wollte - nach vielen anderen - auch den Rat für deutsche Rechtschreibung für ihre Zwecke in Beschlag nehmen. Nun ist aber der neuerliche Versuch der Instrumentalisierung gescheitert, und die Wut ist groß.
Die Gendern-Bewegung ist in die Defensive geraten. Da ist jedes Mittel recht.
Nun gibt es in der Tat „rechte“ Polit-Strategen, welche die Gendern-Ideologie zu ihren politischen Zwecken instrumentalisieren - Friedrich Merz etwa oder Sahra Wagenknecht. Und tatsächlich träumt Markus Söder nicht nur von „Genderverboten“, er spricht auch davon. Populismus verpflichtet.
Rechten Polit-Strategen tun alles, um öffentliche Dauer-Präsenz von Gendern-Akteuren am Kochen zu halten. Ihr Interesse daran liegt auf der Hand:
Die Muttersprache ist Teil der eigenen Identität. Willkürlicher Eingriff in die Sprache ist Übergriffigkeit auf die Person, wird als Form der Enteignung empfunden. Die wachsende Empörung gegen die Gendern-Strategen ist also echt und verständlich.
Rechte Populisten tun also, was sie immer zu tun pflegen: Sie betätigen sich als Trittbrettfahrer des öffentlichen Diskurses, verschleiern so ihr Defizit an konstruktiven Lösungen für gesellschaftliche Probleme.
Dauerpräsenz der Gendern-Frage garantiert, neben der Flüchtlingsproblematik steigende Umfragewerte - trotz fehlender politischer Alternativen. Politisches Programm wird Nebensache,
die Peinlichkeit, eines anbieten zu müssen, wird ihnen erspart.
Gendern-Ideologen ihrerseits verhalten sich, wie es Ideologen entspricht: man negiert, was der eigenen Denkblase nicht entspricht.
Man war es gewöhnt, andere zu eigenen Zwecken zu instrumentalisieren: den ehrwürdigen Duden, gesellschaftliche Minderheiten wie die LGBTQ-Bewegung, Menschen in institutionellen Abhängigkeitsverhältnissen, etwa an Universitäten. Das ist ihr Privileg als „intellektuelle Elite“.
Und wenn man in argumentative Nöte gerät, steht der Lieblingsfeind als verlässlicher Helfer parat:
Auf den Sack „AfD“ einzudreschen, in den man zuvor alle Gendern-Kritiker gesteckt hat, schmeichelt der Selbstgewissheit von „Moral“. Und man quält sich nicht mit Hemmungen, sich aus dem Repertoire demagogischer Sprachbilder „von Rechts“ zu bedienen.
Es geht in Wahrheit ja gar nicht gegen „Rechts“. Es geht darum, sich Kritiker vom Leibe zu halten.
Nun aber hat der Wind sich gedreht: Die populistische wie die völkische Rechte instrumentalisiert ihrerseits die Gendern-Bewegung für ihre Zwecke. Und sie macht klar, wer die wirklichen Meister in Sachen skrupelloser Instrumentalisierung und demagogischer Verdrehung sind.
Die oben genannten simplen Gleichungen werden nun zum Bumerang
Für echte Demokraten wäre es nun angesagt innezuhalten, eigene Theoreme, Strategien, Methoden kritisch zu überprüfen.
Nichts dergleichen ist aber bei Gendern-Ideologen zu erkennen. Getreu eigener Ideologie, kann alles nur das Werk „rechter“ Agitatoren sein. Dagegen wieder helfen nur Tabus.
Man schaue wieder auf die „Argumentation“ von Karin Dalka:
„Die in Deutschland geführte, verquaste Stellvertreterdebatte über die Gendersprache ist bei aller Emotionalität auf Dauer ermüdend und langweilig. Lasst uns stattdessen - befreit von alten Sprachkorsetts - offen und konstruktiv über Geschlechtergerechtigkeit streiten.“
Das sprachliche „Korsett“ sexistischen Neusprechs, jeglichem Sprechen übergestülpt, wird zur „Befreiungsaktion“ von „Sprachkorsetts“ umgedreht. Die Diskussion über eigene Peinlichkeiten für beendet, als Vorbedingung für mögliche Diskutanten zum Tabu erklärt: „Roma locuta, causa finita.“
War es nicht erklärtes Ziel der Gendern-Strategie, „Geschlechtergerechtigkeit“ zu erreichen mit dem Mittel der „Gendersprache“?
Man soll über ein Ziel „streiten“, aber keinesfalls über Wege dahin? Tabus als Bedingung für „offenen und konstruktiven Streit“?
Ob Rosa Luxemburg das unter „Toleranz“ verstanden hat, wenn sie anmahnt: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“?
Ob das mit rationalem Verständnis von zivilisiertem, „demokratischem Streit“ zu vereinbaren ist?
Selbstverständlich muss „gestritten“ werden: nicht um, sondern für „Geschlechtergerechtigkeit“.
Im Sinne einer mutigen Frauenbewegung, die dies schon vor 150 Jahren getan hat. „Geschlechtergerechtigkeit“ ist ja wesentlicher Teil der „universalen, unteilbaren Menschenrechte“. Und sie gehört zum Kernbestand des Wertekanons echter „Linker“.
Die eingangs festgestellte „Provokation“ liegt nicht am Berichtenden, sie liegt im Berichteten.
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Nachwort:
Die Epoche der Aufklärung, ohne die es keine demokratische Gesellschaft gäbe, hat für demokratischen „Streit“ in zweifacher Weise die Folie geliefert:
- Sie definierte ein „Naturrecht“, auf dem unteilbare, unveräußerliche Menschenrechte aufbauen.
- Sie unterwarf alles dem selbständigen, kritischen Verstand zur Überprüfung.
Auf diesen Prinzipien baut ein viel differenzierterer wissenschaftlicher Essay des Autors auf:
„Gendern als Anti-Aufklärung oder Rücknahme der Vernunft“. 2
Er untersucht Theorien, Strategien und Praxis des Genderns in historischer, politischer und linguistischer Hinsicht.
Er entlarvt den von Gendern-Ideologen entfesselten Kulturkampf um „die deutsche Sprache“ als einen Stellvertreterkrieg, der auf dem Schlachtfeld der Linguistik ausgetragen wird, um sich offener demokratischer Auseinandersetzung um ihre kruden Thesen und Methoden zu entziehen.
Er kann als Kompendium zur Einschätzung der Gendern-Positionen dienen.
Hier sind einige der dort behandelten Fragestellungen:
Wie sieht diskriminierungsfreies „gendergerechtes Sprechen“ aus, das sich an unteilbaren 4Menschenrechten orientiert, zugleich gewachsene Strukturen der Sprache respektiert?
Wie steht es mit wissenschaftlicher Seriosität vermeintlicher „Belege“ durch „Assoziationstests“?
Wie verträgt sich das Gendern-Dogma, sich unabhängig vom Kontext immer und überall „angesprochen zu fühlen“ mit dem journalistischen Grundprinzip der Trennung von Nachricht und Kommentar?
Wo bleiben die Erfolgsnachweise von Gendern-Fans in Hinblick auf „Geschlechtergerechtigkeit“ in der Realität?
Sind selbstbewusste Frauen, die ihr Recht einfordern, „Ingenieure“, „Künstler“, „Schriftsteller“ zu sein, allesamt „Sprachreaktionär:innen“?
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2 Der vorliegenden Kurzessay dient als aktuelle Hinführung zu diesem wissenschaftlichen Essay.
Beide sind zusammengefasst unter dem Titel:
„Gendern!...?“ – Ursachen, Merkmale und Folgen eines historischen Irrwegs“:
Zugang über:
Website Werner Engelmann, FR-Forum, Kommentare - Flüchtlingstheater
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