Werner Engelmann
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fluechtlings theater- kleiner-prinz.de Werner Engelmann
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Identitäre Ideologie und "Sichtbarkeit" in der Gendern-Bewegung
Ideologiekritische politische Analyse

 

 

 

1
Inhalte dieses Teils der Analyse:


Methodische Vorüberlegung: Intention und zentrale Begriffe                                                   S.  2


I.  Ideologiekritische Analyse:
    Gendern-Bewegung, "identitäres" Bewusstsein und "Recht auf Sichtbarkeit"


1. Rechte und "linke" Identitätspolitik                                                                                   S.  4
2. "Identitäres" Selbstverständnis in der "feministischen Linguistik"                                        S.  9
3. Permanente öffentliche "Sichtbarkeit" als höherrangiges "Recht"?                                       S. 13


II. Kleine Kulturgeschichte der öffentlichen "Sichtbarkeit"


1. Geschichtsschreibung und Sozialgeschichte                                                                      S. 18
2. Repräsentation, öffentliche Sichtbarkeit und Frauenbild vom Mittelalter
    bis zum Barock                                                                                                              S. 19
3. Sprache in einer von Diversität geprägten Gesellschaft -
    von Hilflosigkeit und Selbsttäuschung "feministischer Linguistik"                                        S. 22


III. Historische Regressionen: Frauenbilder und öffentliche "Sichtbarkeit"


1. Patriarchat und dualistische Geschlechterbilder im 19. und 20. Jahrhundert
    und die Gendern-Bewegung                                                                                           S. 26
2. Tendenzen der Refeudalisierung                                                                                      S. 31
3. Gendern-Bewegung im Bannkreis von Globalisierung, Kulturkampf
    und "Cancel Culture"                                                                                                     S. 34


IV. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen                                                                  S. 37

 


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2


     Methodische Vorüberlegung: Intention und zentrale Begriffe

 


Die Gendern-Bewegung kann nach Begründung und Folgen als eine Art Kriegserklärung an die
deutsche Sprache verstanden werden.
Diese Aussage mag provozierend klingen und schockieren. Und sie weckt zu Recht die Erwartung,
dass Belege hierfür zu liefern sind und dass auch - soweit es der Forschungsstand zulässt - die
Gründe hierfür analysiert werden.
Eben dies ist Absicht und Aufgabe der nachfolgenden Analyse. Sie zielt auf eine politische
Einschätzung dieser Bewegung und versucht, anhand der gelieferten Recherchen und Analysen die
Voraussetzungen hierfür zu schaffen.


Dies bedarf einer Vorklärung in zweifacher Hinsicht:
Erstens ist festzuhalten, dass linguistische und politische Einschätzungen dieses Phänomens sich
zwar gegenseitig ergänzen, dass sie sich aber in ihrer Methode unterscheiden, ebenso bezüglich des
zu untersuchenden Materials.
Die nachfolgende politische Einschätzung stellt das Selbstverständnis dieser Bewegung in den
Mittelpunkt des Interesses, sucht es nach inneren Widersprüchen ab. Und sie versucht, durch
Analyse der Kernbegriffe eine politische Einschätzung zu ermöglichen.


Eine spätere linguistische Analyse untersucht dagegen die konkreten praktischen Maßnahmen, mit
denen diese Bewegung die Gegenwartssprache des Deutschen radikal zu verändern sucht.
Sie erkennt die Begründung dafür als durchaus berechtigt an, nämlich "Gendersensibilität" in der
Weise zu fördern, dass die Sprache neuerer Erkenntnis und dem aktuellen Bild einer gewaltigen
Mehrheit der Sprachgemeinschaft auf die gesellschaftliche Realität entspricht.
Insofern ist auch der "feministischen Linguistik" zuzubilligen, zum Bewusstsein für die Bedeutung
dieser Frage in der Öffentlichkeit beigetragen zu haben.
Allerdings wird auch hier zu untersuchen sein, wie weit sie ihrem proklamierten Anspruch tatsächlich
gerecht wird.


Die folgende politische Einschätzung bedeutet noch keine definitive Stellungnahme dazu, wie dem
genannten Ziel der "Gendergerechtigkeit" zu entsprechen ist, ob und in welchem Maße dabei auch
Ansätze der Gendern-Bewegung berücksichtigt werden können.


Zweitens ist klarzustellen, warum bei der inhaltlichen Analyse, neben Aussagen des gegenwärtig
bedeutendsten Promotors der Gendern-Bewegung, Anatol Stefanowitsch, vorrangig auf Aufsätze von
Luise Pusch 1 zurückgegriffen wird, die zwischen 1979 und 1983 verfasst wurden, also bereits 40
Jahre zurück liegen.
Die Antwort ergibt sich aus den im nächsten Kapitel folgenden Zitaten von Gendern-Fans, die sich
samt und sonders an deren - meist besonders extremen - Aussagen orientieren. Dies gilt auch für
Stefanowitsch, der von einem "bahnbrechenden Aufsatz von Luise Pusch" spricht. 2


3

Folgt man einer Luise Pusch, dann ist die Zerstörung historisch gewachsener Strukturen der Sprache
nicht als "Kollateralschaden" anzusehen, der in Kauf zu nehmen wäre. Dies ist vielmehr der
eigentliche Zweck. Denn dies, so meint sie, sei Voraussetzung, um eine neue Sprache nach
"feministischem" Bilde aufzubauen. Und diese - so ihr Fazit im Aufsatz "Frauen entpatrifizieren die
Sprache"
3 - werde "eine neue Harmonie" etablieren, einen ewigen Menschheitstraum realisieren:
"Eine Welt, die mit beiden Geschlechtern kongruiert (harmoniert), wird eine humane Welt sein." 4
(Hervorhebungen von Luise Pusch)
So ein utopisch-"revolutionärer" Ansatz ist zugleich destruktiv.


Es sei daran erinnert, dass selbst Lenin beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaftsordnung
davon Abstand nahm, die Zarenpaläste zu zerstören. Er hatte verstanden, dass auch eine als überholt
erkannte Gesellschaftsordnung und deren Hervorbringungen zum historischen Erbe des Volkes
gehört, dass dieses Erbe nicht zu zerstören, sondern in Besitz zu nehmen ist.
Nichts anderes gilt für eine auch durch patriarchale Verhältnisse geformte Sprache.


Für die Analyse folgt aus dieser radikalen Konzeption, dass eine Untersuchung, die sich auf die Praxis
der Gendern-Bewegung beschränkte, lediglich periphere Erscheinungen erfassen würde.
Es kommt aber darauf an, den Kern dieser Bewegung in den Blick zu bekommen: das, was sie
antreibt, was sie bezweckt, was sie konkret bewirkt und wie sie in historischer Sicht zu bewerten ist.
Dies erfordert unterschiedliche analytische Ansätze, die sich mit ihren Prämissen, also zunächst mit
den zentralen Begriffen und Vorstellungen befassen müssen.


Diese zentralen Begriffe und Vorstellungen, resp. Theoreme oder Ideologeme, sind in dreifacher
Weise zu hinterfragen:
(1) ideologiekritisch bezüglich der Methode und der Begründung,
(2) sozialgeschichtlich im Vergleich zu ähnlichen Erscheinungsformen in der Geschichte,
(3) soziologisch hinsichtlich des Stellenwerts für die gesellschaftliche Schicht, die sich als Träger
anvisierter gesellschaftlicher Veränderung begreift, sowie zur Kennzeichnung des dahinter
stehenden Denkens.


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Anmerkungen:


1: Luise F. Pusch, Das Deutsche als Männersprache, Suhrkamp 1991 (22017),
2: https://www.tagesspiegel.de/wissen/warum-sprachwandel-notwendig-ist-der-professor-die-professordas-
professor/26155414.html, 3.9.2020
3: Ebd., S.76-108
4. Ebd., S. 107

 

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