Werner Engelmann
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10) Destruktion der Grammatik

 

10. Destruktion der Grammatik und ihre Folgen

 

 

Inwiefern aber muss man von „Rückentwicklung“ der Sprache sprechen? 

 

Dazu sei im Folgenden der oben genannte Aspekt der Entwicklung zur „Kultursprache“ und „Sprache der Philosophie“ aufgegriffen.

 

 

Philosophie erfordert ein Höchstmaß an Fähigkeit zu abstraktem Denken, aber auch eine Sprache mit hoch präziser Begrifflichkeit, die zugleich stark verkürzt. Ein Problem, das sie mit Sprache an sich teilt.

Beide versuchen, eine fast unbegrenzte Zahl von Erscheinungen der Wirklichkeit mit Hilfe einer begrenzten Zahl von Begriffen annähernd korrekt abzubilden. Und beide brauchen dazu sowohl das Prinzip der Sprachökonomie als auch der Mehrdeutigkeit.

Daneben hat aber das Deutsche ein weiteres grammatisches Prinzip ausgebildet, das es als „Sprache der Philosophie“ prädestiniert: ein sehr flexibles System der Wortbildung.

 

Für Philosophie von besonderer Bedeutung ist, problemlos zwischen Wortarten wechseln zu können, Substantivierung von Verben zu ermöglichen und zwischen nominaler Bezeichnung von Menschengruppen (wie „Forscher“, in der Linguistik „Nomen Agentis“ genannt) und der Substantivierung des Verlaufs einer Handlung (wie „Forschende“) zu unterscheiden.

 

So bezeichnen auch nach Heidegger das „Sein“ und das „Seiende“ zwei grundlegend verschiedene Seinsweisen, und diese sind wieder unterschieden von „In-der-Welt-Sein“.

 

Diese herausragende Qualität des Deutschen ist aber nur zu erhalten, wenn man ihre Grundfunktionen unangetastet lässt, die eben diese Unterscheidung gewährleisten und die auch in der Alltagssprache dringend gebraucht werden.

 

So bezeichnet die Substantivierung von Verben, etwa mit dem Suffix -er (wie Forscher) die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dies ist zugleich geschlechtsneutral, da von einem Verb abgeleitet, das kein „Geschlecht“ kennt: „Forscher“ sind demnach alle, ob männlich, weiblich oder divers, die diesen Beruf gelernt haben. Dabei ist niemand „gemeint“ oder „mit-gemeint“, wie Gendern-Ideologen behaupten. Denn eine „Bezeichnung“ ist nicht „appellativ“, sie wendet sich an niemanden.

 

   Die falsche Behauptung von Luise Pusch, ein Wort wie „Forscher“ enthalte per se eine maskuline Bedeutung, die Frauen diskriminiere, ist radikal-feministischem Fanatismus geschuldet: Sie interpretiert ihre eigenen ideologischen Vorurteile in das Wort hinein. Und sie macht sich - wie alle Gendern-Fans - nicht die Mühe, die Bedeutung eines Worts bzw. einer Aussage aus dem konkreten Kontext zu erschließen. Ihre voreingenommene ideologische Position führt zu Unwissenschaftlichkeit und zu falschen sowie pauschalisierenden Schlüssen.

 

Dagegen hat das Wort Forschende (Nominalisierung der verbalen „Verlaufsform“) eine deutlich andere Funktion und Bedeutung: Es bezeichnet zwar auch eine Gruppe von Menschen, doch nur dann, wenn sich diese in einer noch andauernden Aktion befindet. Und es lenkt den Fokus auf die Aktion, nicht auf die Menschen. Es kann demnach in keiner Weise als „Ersatz“ für das aus ideologischen Gründen verfemte Wort „Forscher“ dienen.

 

So gibt es wohl „schlafende Forscher“. Schlafen ist ja ein menschliches Grundbedürfnis.

Von „schlafenden Forschenden“ zu sprechen (die beim Schlafen forschen oder beim Forschen schlafen) ist dagegen unsinnig: Es ist ein Widerspruch in sich („Contradictio in Adjecto“).

 

Wie beim viel bemühten Beispiel von den „toten Radfahrenden“ erweist sich hier das Verfahren der Gendern-Ideologen als absurd: Der vermeintlich bessere „Ersatz“ für gebräuchliche, doch verfemte maskuline Gruppenbezeichnungen führt zu logischem Unsinn.

Von Ideologie sind weite Teile der Gendern-Bewegung fortgeschritten zu Vernichtungswut, die alles trifft, was irgendwie „maskulin“ erscheint.                       

Denn dies sind ja nur wenige Beispiele. In Wirklichkeit fallen potenziell Tausende präzise und für reibungslose Verständigung nötige Wörter der Gendern-Wut zum Opfer.

 

Welches Ausmaß solche Sprachzerstörung annehmen könnte, macht ein Hinweis von Prof. Eisenberg deutlich. Danach sind die (meist maskulinen) Nomina Agentis vom Typ „Forscher“ die mit Abstand bedeutendsten:

„Man schätzt den Bestand auf mindestens 10 000 Wörter.“ 39 

 

 

Dogmatische Gendern-Ideologen, auf Kriegsfuß mit der eigenen Muttersprache, fordern eine wahre Invasion von Sprachmonstern vom Typ “Radfahrende“, „ein Abonnement beziehende Personen (Abonnenten), „Backwaren produzierende Personen“ (Bäcker), „Zauberkraft innehabende Personen“ (Hexen) usw. Sie wüten hemmungslos im deutschen Wortschatz, um Tausende logischer und präziser Begriffe mit maskulinem Artikel zu beseitigen. 40

 

Ein Aderlass nie gekannten historischen Ausmaßes im deutschen Wortschatz droht nicht nur das lexikalisch-grammatische System des Deutschen erheblich zu beeinträchtigen.

 

Hier wird auch deutlich, dass der lange Weg der Fortentwicklung und Perfektionierung von Sprache zur Literatursprache durchaus reversibel ist und in Zerstörung enden kann.

Die Rechtfertigungs-Sprüche, dass Sprache sich „immer gewandelt“ habe, erhalten so eine zynische Bedeutung: Denn es ist das erste Mal, dass eine solche „Wandlung“ rückwärts erfolgt:

 

Ein nahezu perfektes grammatisches System wird von Gendern-Ideologen mutwillig zerstört.

Und - wäre ihrer Wut Erfolg beschieden - würde die deutsche Sprache als „Kultursprache“ und „Sprache der Philosphie“ wohl bald der Vergangenheit angehören.

 

Die von Luise Pusch eingeschlagene Strategie, „gezielte Allergie gegen das Maskulinum“ zu erzeugen, zeitigt so ihre verheerenden Früchte: 41 Was als individuelle pathologische Verirrung begann, hat Züge angenommen, die man durchaus als kollektiven Wahn bezeichnen könnte.

 

Prof. Eisenberg bringt es auf den Punkt, indem er vom „Vergehen an der Sprache“ spricht:

Mit Sprache lässt sich nicht so umgehen wie mit einer Prostituierten, der man alle Wünsche abverlangen kann, und seien sie noch so abwegig. 42

 

 

    Zur Veranschaulichung dieser Entwicklung seien zwei Beispiele aus der Literatur angeführt: 43

 

So nennt Kafka in der Erzählung „Die Verwandlung“ den zum Käfer verwandelten Gregor Samsa einen „Reisenden“. Die „Verwandlung“ ist Symbol für ein unerträglich gewordenes Menschsein, die Bezeichnung „Reisender“ für die menschliche Existenzweise, ewig „reisen“ zu müssen und nie anzukommen. Nach Gendern-Neusprech aber wird „Reisender“ zur bloßen Berufsbezeichnung „Vertreter“ trivialisiert, also zweckentfremdet, so wie „Forschende“, „Lehrende“ und viele andere Wörter für ehrenwerte Menschen.

 

Wie also soll ein in solchem Neusprech sozialisierter Mensch künftig noch die existentielle Bedeutung von Begriffen in Literatur wie von Kafka erfassen können, die nur noch triviale Zusammenhänge abbilden? Danach bleibt nichts anderes mehr übrig, als sich mit trivialen Kafka-Versatzstücken für Halb- und Viertelgebildete berieseln zu lassen.

 

Und in Alfred Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ startet ein Pfarrer eine gefährliche Aktion, um die Barlach-Skulptur eines „lesenden Klosterschülers“ vor Übergriffen von Nazi-Barbaren zu retten. Der konzentrierte Ausdruck des „Lesenden“ hatte ihn fasziniert. 

Wie aber soll eine von Gendern-Neusprech geformte Generation diese Aktion begreifen, ermessen können, was die geistige Arbeit „konzentrierten Lesens“ bedeutet, wo sie doch keinen Begriff mehr dafür besitzt? - Es wird wohl besser sein, seine Finger ganz von Literatur zu lassen, die doch nur zu „überflüssigem“ Denken anregt.

 

 

Mehr noch aber wird die Alltagssprache vom Gendern-Wahn beeinträchtigt, möglichst alles „Maskuline“ aus der Sprache zu eliminieren:

So ist das Wort „Flüchtling“ in seiner genderneutralen Bedeutung zwar eindeutig definiert, etwa in der „Genfer Flüchtlingskonvention“. Gendern-Fans ist dieses Wort, wegen der Nachsilbe -ling wie viele andere Ableitungen „maskulin“ kodiert, aber ein Graus. Es muss aus Sprache und Bewusstsein eliminiert werden. So stiften sie Verwirrung und beleidigen Menschengruppen:

„Flüchtende“ sind diese ja nur, solange sie unterwegs sind. In Deutschland angekommen, wird für diese Menschen nur noch - soweit noch korrekt - der Begriff „Geflüchtete“ verwandt.

Doch wie lange bleiben sie dies? Bleibt jemand, den (wie den Autor dieses Essays) dieses Schicksal vor 70 Jahren ereilte, sein Leben lang „Geflüchteter“, der keine Zukunft kennt, oder ist er gar ein „Flüchtender“, also einer, der vor eigenen Problemen davonrennt?  

 

Und wie steht es mit dem „Schmetterling“? Wird dieses schöne Wesen sich damit abfinden müssen, zum „Geschmetterten“ umgetauft zu werden, da „gezielte Allergie“ gegen alles Maskuline seinen Artikel nicht erträgt?

Werden der Autor dieses Essays und zahllose Menschen, die dieses Schicksal teilen, mit ihm ihr weiteres Leben als Namenlose fristen müssen, für die kein adäquates Wort mehr existiert?

 

 

Nach irgendeiner „Logik“ zu suchen, ist hier sicher verfehlt - wie ein weiteres Beispiel zeigt:

Für Gendern-Ideologen, die nicht zwischen Genus und Sexus zu unterscheiden wissen, müsste das Neutrum „Opfer“ - auf Menschen bezogen - den Gipfel der Erniedrigung darstellen. Wenn nun aber täglich von zivilen „Opfern“ russischer Bomben in der Ukraine berichtet wird, scheint kein Gendern-Fan sich daran zu stören, dass hier auch Frauen „mit-gemeint“ sind. Nicht auszudenken aber die Empörung, wäre dies ein Maskulinum! - Und doch wenig überraschend:

Einer Ideologie, die sich am Prinzip der Willkür orientiert, darf man nicht mit „Logik“ kommen.

 

Zahllos sind die Beispiele, wie die Gendern-Bewegung, die „sensible“ Sprache zu pflegen vorgibt, in Wirklichkeit zu Unsensibilität, zu logischem Unsinn, zu Verarmung der Sprache und auch zu Beleidigung ganzer Menschengruppen führt. - Schöne neue Gendern-Welt!

 

 

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39  Ebenda. Hier weist Prof. Peter Eisenberg auch die „diffamierende Äußerung“ von Anatol Stefanowitsch zurück, „es gebe auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes keine einzige linguistisch fundierte Verteidigung des generischen Maskulinums“. 

Er kennzeichnet damit dessen Umgang mit der Wahrheit und mit Andersdenkenden, charakterisiert auch den von ihm geforderten Anspruch von „Moral“. (Vgl. Fußnoten 5, 12, 17-20, 34)

 

 

40  Vgl. dazu das „Gendern-Wörterbuch“:  https://geschicktgendern.de

 

 

41 we3Mit welchem Furor radikalfeministischer Wahn in angelsächsischen Ländern bereits zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts agierte und sich an die Zerstörung von Wörtern heranmachte, das zeigt sich an der - von Luise Pusch positiv rezipierten - Forderung, das Wort „history“ (als „patriarchalisch“ interpretiert) durch „herstory“ zu ersetzen. („Das Deutsche als Männersprache“, S. 33) - Vgl. Fußnote 14

Solche Hysterie geht allerdings ungebrochen weiter. So, wenn Londoner Universitätskliniken verordnen, das Wort „Muttermilch“ aus dem Vokabular zu streichen und es zu ersetzen durch "Begriffe wie 'Menschenmilch' oder 'Milch der stillenden Mutter oder Person". 

 (https://www.rnd.de/panorama/gendergerechte-sprache-britische-kliniken-benennen-begriffe-wie-muttermilch-um-GDSTWVWLOFAT7MAPKOCOQFWADQ.html)

 

 

42  Auch der erlauchte „Deutsche Rat für Rechtschreibung“ als „maßgebende Instanz“ scheint diese Problematik noch nicht einmal begriffen zu haben. Immerhin scheint inzwischen etwas mehr Realismus eingekehrt zu sein. Wurden in der Beschreibung der „Leitfäden zu geschlechtergerechter Schreibung“ vom 16.11.2018 „Ersatzformen“ vom Typ „Studierende“ noch quasi empfohlen (ohne sich konkret damit befasst zu haben), so erkennt er am 01.09.2021 wenigstens: „Das Thema ist komplex, weil es so viele Folgewirkungen hat. (…) Da verändert sich die gesamte Grammatik und Orthografie.“ Und er bekräftigt am 23.07.2022, dass Doppelpunkt und Sternchen in Schriften von Behörden, staatlichen Einrichtungen und auch öffentlichen Medien nichts zu suchen haben“.

- Zu beachten ist allerdings, dass das hier behandelte Problem in das Gebiet der Grammatik fällt, für die andere Bedingungen gelten als für Rechtschreibung. Und für Grammatik fehlt dem Rat bislang die Zuständigkeit

 

43 Forderungen nach „gendergerechten“ Eingriffen in Literatur sind längst erhoben. Dies wird aber von einer eindeutigen Mehrheit von Autorinnen und Autoren entschieden abgelehnt: (https://www.rnd.de/kultur/gendern-in-der-literatur-wie-die-branche-damit-umgeht-73N2CO2PBG7SNVKEU6CJTEXC6Y.http           

 

        

 

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