Werner Engelmann
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3) Universales Menschenbild kontra  „Differentialismus“

3.  Universales Menschenbild

      kontra rückwärtsgewandtem „Differentialismus“

 

 

 

In der wirklichen Tradition der Frauenbewegung steht - im Unterschied zur Gendern-Bewegung in Deutschland - die französische Feministin und Philosophin Élisabeth Badinter.

Sie vertritt einen universellen Feminismus, betont die Gleichheit der Geschlechter im Sinne der Menschenrechte sowie in rechtlicher, ökonomischer und sozialer Hinsicht.

Sie kritisiert scharf den „hasserfüllten“ radikalen Feminismus anglo-amerikanischer Prägung und seine „feministischen Irrtümer“. Dieser hebt, so betont sie, statt auf Gleichheit, auf die „Differenz“ der Geschlechter ab und betreibt so eine „Viktimisierung“ der Frau. Er führt zu einem überholten Verständnis von „weiblicher Natur“ zurück. 6

 

    Vor dem Hintergrund rassistischer Erfahrungen in den USA ist dieser „Differentialismus“ zunächst verständlich. Er entstand als Gegenbewegung zum manifesten Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft. Und er versucht, das reale Opfer-Dasein schwarzer US-Bürger ins Bewusstsein zu heben.  

    Doch die Abbildung realer Verhältnisse schlägt um in rückwärtsgewandte Fiktion. Dies erfolgt, als radikalfeministische Konzepte den Opferstatus von Schwarzen pauschal auf Frauen sowie auf Minderheiten per se projizieren und verallgemeinern. 7

             

    Aus verständlicher Reaktion der Opfer auf reale Diskriminierung wird re-aktionäre Ideologie, im Wortsinn wie in historischer Hinsicht.

 

    Der echte, universalistische Feminismus von Élisabeth Badinter zieht begrifflich die Konsequenz aus der UN-Menschenrechtserklärung von 1948, der wiederum unendliche Leiderfahrung in Faschismus und zwei Weltkriegen vorausging. Die UN-Deklaration definiert „Menschenrechte“ in der Tradition der Aufklärung, nach einem naturrechtlichen Verständnis von allgemein verbindendem Mensch-Sein. Unterschiede wie Geschlecht, Nation, Herkunft, Religion usw. sind zu relativieren, haben hinter dem Verbindenden als gleichberechtigte Menschen zu stehen.

    Die Schriftstellerin Nele Pollatschek bringt dies auf den Punkt: "Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit." 8

 

    Der anglo-amerikanische „feministische Differentialismus“ sieht dagegen eine vermeintlich grundsätzlich verschiedene „weibliche Natur“ als Kontrapunkt und Opfer aggressiver „Männlichkeit“. Er verabsolutiert ein einzelnes Merkmal des Menschseins unter vielen, die Geschlechtlichkeit, macht es zum allein bestimmenden Kriterium ihres dualistischen Menschenbilds. Er zelebriert geradezu dieses weibliche Opfer-Dasein.

        

    Élisabeth Badinters Kritik am anglo-amerikanischen Radikalfeminismus zeigt auf, wie dieser schon in der Theorie ins Gegenteil dessen umschlägt, was er zu verfolgen behauptet.

 

    In seiner rückwärtsgewandten Sicht von „Weiblichkeit“ dokumentiert der „feministische“ Differentialismus zugleich sein gebrochenes Verhältnis zum mutigen, aufopferungsvollen und erfolgreichen Kampf der europäischen Frauenbewegung.

 

  

    In paradoxer Weise feiert so patriarchales Denken, mit umgekehrtem Vorzeichen, seine Wieder-Auferstehung, ausgerechnet unter dem Label des Kampfes gegen das Patriarchat.

Denn vermeintlich „wesensmäßiger“ Dualismus von Männlichkeit und Weiblichkeit stellt auch das Grundprinzip des Patriarchats dar und begründet eine über Jahrhunderte anhaltende Benachteiligung und auch Unterdrückung von Frauen.

 

Zur historischen Verirrung wird diese Philosophie, intellektualistisch-selbstbezogen und mitleiderheischend, als sie, unter kräftiger Mithilfe von Gendern-Promotoren wie Luise Pusch, in den 10er Jahren dieses Jahrhunderts nach Europa herüberschwappt.

Denn die Gendern-Bewegung löst den an sich schon verallgemeinernden Opfermythos zusätzlich aus dem Kontext des US-amerikanischen Kulturkampfes heraus, der durch Rassismus geprägt ist: Sie überträgt ihn, weiter pauschalisierend, auf Europa und besonders Deutschland.

 

Der radikalfeministische anglo-amerikanische „Differentialismus“ stellt die eigentliche theoretische Basis der Gendern-Bewegung dar. In gleicher Weise verabsolutiert auch sie Geschlechtlichkeit als einzig maßgebendes Merkmal von Menschsein und von Sprechen.

 

Damit ist ein entscheidender Widerspruch der Gendern-Bewegung benannt:

Sie meint, mit Manipulation am Sprachsystem dem - sicher berechtigten - Anspruch von Frauen auf Gleichbehandlung auch im täglichen Leben nachhelfen zu müssen und zu können.

 

Und sie will das bewerkstelligen, indem sie ausgerechnet ein mitleiderheischendes Frauenbild übernimmt und weiblichen Opfermythos verbreitet - ein Widerspruch in sich.

Mit einem „Opfer“ kann man Mitleid haben, man wird sich aber keinesfalls mit ihm identifizieren. Jeder Psychologe, der sich mit Gewalttätern befasst hat, wird das bestätigen. 9

 

Was der Förderung weiblichen Selbstbewusstseins dienen soll, bewirkt das gerade Gegenteil.

 

Die Gendern-Bewegung meint diesen fundamentalen Widerspruch zu lösen, indem sie den Opfermythos auf gesellschaftliche Randgruppen projiziert und sich selbst als Wohltäter begreift. Dass diese Aktion nicht so selbstlos ist, zeigt sich im 5. Abschnitt: Durch Identifikation mit diesen Randgruppen bestätigt man vor allem seinen eigenen „Moral“-Anspruch.

 

Als weiteres Fazit sei festgehalten:

 

Dualistisches Denken und der vom „feministischen Differentialismus“ wie von der Gendern-Bewegung propagierte weibliche Opfermythos zementieren patriarchale Verhältnisse eher als sie zu beseitigen.

 

Auf welche Weise dies geschieht, dies wird in der politischen Analyse im 11. Abschnitt aufgezeigt.

 

 

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6  „Fausse Route“, Paris 2003. Deutsche Ausgabe: Die Wiederentdeckung der Gleichheit. Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere feministische Irrtümer“, 2004 

 

 

7   Luise Pusch verweist selbst auf diesen Sachverhalt in einem Video-Interview mit dem Literaturhaus Zürich vom April 2021 (https://www.youtube.com/watch?v=GKwuyaTzxTg&t=1216s)

           

 

8   https://www.tagesspiegel.de/kultur/deutschland-ist-besessen-von-genitalien-gendern-macht-diediskriminierung-nur-noch-schlimmer/26140402.html  

 

 

9  An deutschen Schulhöfen ist das Wort „Opfer“ schon seit einiger Zeit zum Schimpfwort avanciert. Damit wird Distanz und Verachtung ausgedrückt, die jegliche Identifikation mit Außenseitern verbietet.

Die Psychologie erklärt dies in der Weise, dass Menschen, die sich ihrer selbst nicht sicher sind, Identifikation mit Stärke suchen, um der Gefahr zu entkommen, selbst zu Außenseitern zu werden.

 

Dieser Sachverhalt hat sich in einem Projekt des Autors dieses Essays, „Anti-Gewalttraining“ in einer Klasse 16jähriger Schüler und Schülerinnen, bestätigt. Es war zu Klagen über die Aggressivität von Jungen gekommen.

Ziel war, durch Perspektivenwechsel Distanz zum eigenen Verhalten herzustellen und die Teilnehmer zu veranlassen, sich den eigenen Gefühlen zu stellen. Dazu hatte jeder im Rollenspiel drei Rollen bei einer alltäglichen Gewalterfahrung zu übernehmen und danach seine Gefühle zu schildern: als „Aggressor“, als „Opfer“ und als „unbeteiligter Beobachter“.

Es stellte sich heraus, dass die beklagte „Aggressivität“ tatsächlich aus der Angst herrührte, selbst zum „Opfer“ zu werden. Durch Machoverhalten versuchte man, diese Angst zu verdrängen. 

Die Kooperationsbereitschaft der gerade der Jungen war übrigens sehr gut.

 

 

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