7. Gendern und demokratische Defizite in Medien und öffentlichem Diskurs
Nach der voranstehenden Analyse stellt sich eine weitere Frage: Wie hält es die Gendern-Bewegung mit demokratischen Formen des gegenseitigen Umgangs in der Gesellschaft?
Demokratie lebt vom offenen Meinungsaustausch. Dabei kommt den Medien besondere Bedeutung zu. Mit solcher Offenheit haben Gendern-Fans jedoch oft erhebliche Probleme.
Um den Ursachen nachzugehen, muss zuvor der zu untersuchende Bereich eingegrenzt werden. Anders als die Gendern-Bewegung hat eine kritische Untersuchung zu differenzieren und sich nicht ausgewiesener Extrapolationen und Verallgemeinerungen zu enthalten.
Für eine differenzierte Beurteilung, inwieweit Gendern-Praxis legitim und angemessen ist, wäre zuerst zu unterscheiden zwischen
(a) dienstlichen Bereichen wie Verwaltungen,
(b) freiwilligen Zusammenschlüssen wie etwa Gewerkschaften und
(c) öffentlich-rechtlichen oder staatlich organisierten Bereichen.
Im Fall (a) und (b) wären Abweichungen von der Normsprache durchaus denkbar und evt. auch legitimiert, im Fall (c) dagegen sind sie nicht verantwortbar.
Zu (a): In Verwaltungen ist dies durch Sprechabsicht und besondere Situation begründet. Stellen-Ausschreibungen etwa sprechen Menschen unterschiedlichen Geschlechts an, und zwar in appellativer Form. Genderneutrale Ansprache ist hier nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern eine Pflicht im Sinne des im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgebots.
Zu (b): In Gewerkschaften oder Vereinen ist es möglich auszuhandeln, was als „korrekt“ und angemessen empfunden wird. Die Wirkung ist weitgehend auf den inneren Bereich beschränkt, die Form der sprachlichen Selbstverständigung ist keine Angelegenheit der Gesellschaft insgesamt und damit auch nicht notwendigerweise deren Normen unterworfen.
Freilich gilt auch hier das Gebot der Toleranz und gegenseitigen Respekts, was einen Zwang oder auch Druck im Sinne vermeintlich „gendersensiblen Sprechens“ verbietet. 28
Zu (c): Anders verhält es sich bei öffentlich-rechtlichen Medien oder staatlichen Institutionen wie Universitäten oder Schulen. Hier handeln die jeweiligen Beschäftigten oder Lehrkräfte im Auftrag der Allgemeinheit oder unter Aufsicht des Staates. Und die Angesprochenen, etwa Fernsehzuschauer, müssen dies erdulden, ohne eine Möglichkeit der Mitbestimmung zu haben.
Im Folgenden geht es also ausschließlich um Gendern im öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Bereich. Hier offenbart sich allerdings ein gestörtes Verhältnis der Gendern-Bewegung zu demokratischen Gepflogenheiten und im gegenseitigen Umgang in der Gesellschaft.
Im Auftrag der Gesellschaft zu handeln, das bedeutet für öffentlich-rechtliche Medien:
Nachrichtensprecher oder -sprecherinnen sind den Zuschauern gegenüber zu sachlicher Information verpflichtet, ohne belehrende Subtexte nach eigenem Gusto mitzuliefern.
Gezielte Abweichung von sprachlicher Norm ist hier bevormundend, für viele auch verletzend. Denn Sprache ist integrativer Bestandteil der Identität von Menschen.
Auch selbstherrlichen „Fernsehgewaltigen“ steht es nicht zu, in die Persönlichkeit anderer Menschen einzugreifen, ihnen, unter Missbrauch ihrer Vorbildfunktion und Verletzung des gesellschaftlichen Konsenses über korrektes Sprechen vorzugaukeln, wie „man“ zu reden habe.
In Frankreich etwa wäre so ein nicht verantwortbares Vermengen von privaten Sichtweisen mit öffentlichen Aufgaben schon heute undenkbar.
Und im Falle von Universitäten und Schulen ist dies aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses auch eindeutig als Machtmissbrauch zu bezeichnen.
Gerade im Fall von Schulen stehen schon jetzt verschiedene Gerichtsentscheide an. Und nach den in rechten Kreisen erkennbaren Strategie ist zu erwarten, dass schließlich das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben wird. 29
Vor einem solchen Hintergrund ist der massive Widerstand breiter Kreise der Bevölkerung gegen die Gendern-Ideologie zu betrachten.
Dieser wird in einer Umfrage von „Civey“ aus dem Jahr 2022 sehr deutlich bestätigt. In der massiven Ablehnung des Genderns in der deutschen Bevölkerung gibt es dabei auch kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen, und nur geringe Abweichungen bei älteren Menschen. 30
Die hier dokumentierte Abwehr der in öffentlich-rechtlichen Medien geübten Gendern-Praxis
wird verständlich, wenn man sie aus der Perspektive von Hörern oder Fernsehzuschauern betrachtet:
Die Übergriffigkeit von Mediengewaltigen auf Teile der eigenen Identität wird als Form der Enteignung und als illegitim empfunden. Dies wird als Strategie wahrgenommen, die angstfreies Sprechen der Sprachgemeinschaft insgesamt verhindert.
Als einzige Chance, sich diesem Einfluss zu entziehen, erscheint demnach, sich ihm bewusst zu verweigern. Das aber bedeutet, sich selbst aus dem Prozess demokratischer Willensbildung zurückzuziehen.
Auf diese Weise tragen öffentlich-rechtliche Medien auch zu Demokratieverdrossenheit bei.
Auch, wenn solche instinktive Sicht und Reaktion nicht geteilt wird, so ist dies doch als verständliche und legitime Abwehr anzuerkennen.
Sie macht deutlich, wie tief die Spaltung der Gesellschaft geht, die von einer Minderheit ausgelöst wird, die sich selbst als gesellschaftliche Vorhut versteht und sich zur Manipulation der Mehrheit via Sprachverhalten berechtigt fühlt.
Nach Art. 5 GG ist „die Freiheit der Berichterstattung“ gewährleistet.
Öffentlich-rechtliche Medien haben darüber hinaus aber auch Vorbildcharakter.
Dies berechtigt damit nicht, regulierend in das, nach Art. 2 GG jedem Hörer, Leser oder Fernsehzuschauer zustehende, „Recht“ auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ einzugreifen. Etwa, indem man sich - ohne demokratisches Mandat - zu deren sprachlicher „Erziehung“ berufen fühlt.
Öffentlich-rechtliche Medien machen sich durch eine demokratisch nicht legitimierte Gendern-Praxis sowohl der Verletzung ihres gesellschaftlichen Auftrags als auch der Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Hörern oder Fernsehzuschauern schuldig.
Die Gendern-Praxis erweist sich dabei als Gefährdung sowohl für den Zusammenhalt der Gesellschaft als auch für den dazu notwendigen demokratischen Diskurs.
Ein Konzept, mit „aufklärerischem“ Impetus angetreten, ist dabei, sich in einen fatalen Gegenentwurf zur Aufklärung zu entwickeln, die Kant mit dem „Wahlspruch“ auf den Begriff bringt: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Und es sei an historische Beispiele erinnert, wie ideale Gesellschaftsentwürfe in das gerade Gegenteil umschlugen: So die Französische Revolution in den Terror eines Robespierre, oder die bolschewistische Revolution in den Staatsterror eines Stalin und - man muss heute ergänzen - auch eines Putin.
Jeder utopische Entwurf hat sich diesen immanenten Mechanismus radikaler Gesellschaftsbilder vor Augen zu halten.
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28 Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin (welcher der Autor dieses Essays angehört) werden Beiträge verdienter Gewerkschafter ungefragt in „gendersensible Sprache“ umgewandelt und diese auf Protest hin bloßgestellt. Dies widerspricht zweifellos dem hier genannten Toleranzgebot.
29 Immerhin ist erkennbar, dass durch Kultusministerien verschiedener parteipolitischer Couleur der Instrumentalisierung von Minderjährigen zu politischen Zwecken durch fanatische Gendern-Fans ein Riegel vorgeschoben wird. So stellte, nach Sachsen, auch der Berliner Schulsenat klar, „die Schulen müssten sich an die Lehrpläne halten, „damit (…) unter anderem der normgerechte Spracherwerb und -gebrauch sichergestellt“ werde. (https://www.rnd.de/panorama/gendersprache-gehoert-laut-senat-nicht-an-berliner-schulen-O2H4GFMBCD5VFUQFYWP7RFEVNM.html)
30 In dieser Umfrage vom 10.-23.1.2022 wird auf die Frage, ob Medien „geschlechtergerechte" Sprache benutzen sollten, wie folgt geantwortet: Gesamt (Männer - über 65-Jährige):
„Ja, auf jeden Fall“: 8, 1 % (6,2 % - 4,7 %) – „Eher ja“: 6,6 % (7 % - 3,7 %) – „Unentschieden“: 8,5 % (8,7 % - 7,7 %) – „Eher nein“: 16,6 % (14,5 % - 18,6 %) – „Nein, auf keinen Fall“: 60,2 % (63,6 % - 65,3 %). Weder bei Männern noch bei über 65-Jährigen zeigt sich also ein signifikant großer Unterschied gegenüber der Gesamtbevölkerung.
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