Werner Engelmann
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11) Gendern und konservative Strategien

 

 

11.  Gendern und konservative Strategien:

    Selbstbild und tatsächliche politische Funktion

 

 

 

Abschließend sollen mögliche politische Folgen und Entwicklungen aufgezeigt und analysiert werden: zuerst in innenpolitischer Hinsicht, dann vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch einen Krieg auf europäischem Boden.

Dazu ist der sich selbständig entwickelnde Prozess mit den möglichen Folgen zu betrachten.

 

    Entsprechend ihrem Selbstbild meint die Gendern-Bewegung, eine geschichtsmächtige Bewegung darzustellen, die - so behauptet man - eine immer noch von patriarchalischem Denken bestimmte Gesellschaft „radikal“ verändern will und kann.   

 

In Wahrheit schafft man sich lediglich ein Feindbild, das die gravierenden Fehler des eigenen Ansatzes verschleiert: das Alte, Beharrende, verkörpert durch „alte weiße Männer“, dem gegenüber man für „das Neue“, für „Toleranz“ und „Moral“ zu stehen behauptet. -

Dies ist ein schlichtes propagandistisches Muster nach klassischem Freund-Feind-Schema.

 

 

Die Existenz dieses Feindbilds ist Voraussetzung für das eigene, „identitäre“ Selbstbild:

Der bisweilen messianische Impetus resultiert nicht aus dem Bewusstsein eigener Kraft, sondern aus der Gegnerschaft zu diesen „Feinden“: Man bestätigt sich selbst, indem man das Feindbild auf Kritiker projiziert, während man sich selbst für „progressiv“ hält.

 

Die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich nennt dies „verlogen“. 44 Das ist zwar verständlich, aber wenig hilfreich. Denn „Lüge“ setzt das Bewusstsein zu lügen voraus. Davon ist bei den meisten Gendern-Fans wohl nicht auszugehen.

Zu Merkmalen einer Ideologie gehört, dass sie von ihren Anhängern für wahr gehalten wird. Aber auch, dass Zweifel an eigenen Prämissen und Schlussfolgerungen instinktiv abgewehrt werden, würden diese doch den eigenen Wahrheitsanspruch erschüttern.

 

Besser lässt sich dies so auf den Punkt bringen: Das Selbstbild der Gendern-Bewegung ist geprägt von Selbstbetrug. Und dem, so wird im Folgenden gezeigt, fällt sie selbst zum Opfer.

 

Gefährlicher ist die kulturrevolutionäre Dynamik, welche die Gendern-Bewegung zumindest in Ansätzen entfaltet: Denn mit dem Rückfall in dualistisches Denken schafft die Gendern-Bewegung vielfach neue Gegensatzpaare, welche die Sprachgemeinschaft spalten: zwischen alt und jung, gebildet und ungebildet, fortschrittlich und reaktionär.

 

Während man vorgibt, Ungerechtigkeit zwischen Geschlechtern zu beseitigen, schafft man so in Wahrheit neue Gräben: Es geht nicht nur um eine Neuauflage des Geschlechterkampfs. Aus der Geschlechterfrage wird immer mehr eine Auseinandersetzung zwischen Generationen.

 

 

Wer sich ernsthaft mit Geschichte befasst, der erkennt in dieser Dynamik Warnsignale, die andeuten, in welche Richtung sich Generationenkonflikte entwickeln können:

Hass auf eine von Älteren tradierte „bürgerliche Welt“ ließ junge Menschen mit „Hurra“ in den ersten Weltkrieg ziehen. Auch die Nazis waren ursprünglich eine Jugendbewegung, welche die „alte“ patriarchale Gesellschaft zu beseitigen meinte. In der Stalin-Ära gingen in Russland junge „Revolutionäre“ mordend gegen altgediente Parteigenossen vor. Und unübertroffen ist die Brutalität junger maoistischer „Kultur-Revolutionäre“ gegen die eigenen Väter.

„Kulturrevolutionen“ neigen dazu - unabhängig von der Ideologie -, außer Kontrolle zu geraten und ins Gegenteil zu den Zielen umzuschlagen, mit denen sie angetreten waren.

 

 

Der Weg zu radikalen Verirrungen ist gekennzeichnet durch Entfremdung von der Realität: Das Selbstbild verstellt den kritischen Blick. Kritik von außen erfährt man als Bedrohung.

Doch so sehr man sich auch dagegen sträubt, das eigene Selbstbild in Frage zu stellen: Wenn sich die Widersprüche in der Praxis verstärkt offenbaren, wird man von der verdrängten Realität wieder eingeholt. Und in Krisenzeiten vollzieht sich dieser Prozess noch schneller.

 

Im Folgenden wird zunächst die innenpolitische Problematik mit den wahrscheinlichen Folgen analysiert. Dabei sind auch Strategien der Gegenseite aufzuzeigen und zu untersuchen.

 

Dazu sei kurz auf zwei Politiker eingegangen, die sich in Bezug auf die Gendern-Frage deutlich und wiederholt positioniert haben: den CSU-Vorsitzenden Markus Söder und den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.  

 

Ein Markus Söder poltert regelmäßig in bajuwarischer Manier gegen "Umerziehung der deutschen Bevölkerung", dagegen, „Gendern zwanghaft zu verordnen“ - auch wenn zur Zeit diese Absicht nur dem kleinen Teil der Gendern-Bewegung nachzuweisen ist. Er stellt abstruse Zusammenhänge her mit „staatlichen Vorgaben zur Ernährung“ und Freigabe von Drogen. 45 Stammtisch-Parolen machen sich immer gut in dieser Partei, da fragt keiner nach Belegen.

 

Auch für Friedrich Merz steht die Gendern-Frage schon lange auf der politischen Agenda. Und er gibt Hinweise, wie diese für dezidiert „konservative“ Teile der Union strategisch zu instrumentalisieren sei - vorausgesetzt, man versteht sie zu deuten.

Dies wurde zuletzt beim CDU-Parteitag am 10. 9. 2022 deutlich. Besonders klagt er hier die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an, als Volkserziehungsanstalten“, welche - soweit noch korrekt - dem „staatlichen Bildungs- und Informationsauftrag“ entgegenstehen. 46

Freilich vermeidet er tunlichst, auf die strategische Bedeutung der Gendern-Frage für die Union einzugehen, was aber schon lange kein Geheimnis mehr ist: Er spekuliert auf ein Verbot des Genderns im öffentlichen Diskurs durch das Bundesverfassungsgericht.

Insofern unterscheidet sich diese Strategie nur unwesentlich von AfD-Positionen. Rechte und rechtsextreme Kreise pflegen grundsätzlich, gesellschaftliche Konflikte, statt im demokratischen Diskurs, vor dem Kadi auszufechten.

 

Diese Unions-„Strategen“ wären also ideale Sparring-Partner der Gendern-Bewegung.

Gendern-Fans stürzen sich aber lieber, in diffuser Weise, auf lächerliche Äußerungen aus rechtsradikalen Kreisen, verteufeln Kritiker und pflegen die genannten Feindbilder. 47  

 

Man ahnt wohl, dass bei einer Auseinandersetzung mit dem demokratischen Teil der eher rechts orientierten Gesellschaft auch das eigene Selbstbild, die eigene Strategie und Praxis unter die Lupe genommen würden.

Wieviel einfacher und erhebender ist es da, sich selbst, belegt durch Gendern-Praxis, als Speerspitze gegen Rechtsradikale, gegen Diskriminierung und Machotum zu begreifen!

Dass so weite Teile der Bevölkerung, Gendern-Kritiker voran, als „Frauenfeinde“ diffamiert und in die rechtsradikale Ecke geschoben werden, das nimmt man zumindest billigend in Kauf. Geht es doch darum, das eigene Selbstbild nicht durch demokratischen Diskurs zu gefährden.

 

 

Verdrängt wird dabei, auf wie fatale Weise eigenes „identitäres“ Selbstbild und Methode sich in der bloßen Negation dem der auserwählten Lieblings-Feinde angleicht.

 

Und schon gar nicht kommt die eigene destruktive gesellschaftliche Rolle in den Blick:

Von zwei entgegengesetzten Seiten werden so dualistisch geprägte Weltbilder verbreitet.

Diese ergänzen sich in ihrer Abneigung und schaukeln sich gegenseitig auf.

 

Während rechts- und linksradikale „Identitäre“ sich in Spiegelfechtereien üben, sich gegenseitig abnutzen, ist ein Friedrich Merz sich dessen wohl bewusst, welch wertvolles Geschenk die Gendern-Bewegung ihm und den Unionsstrategen liefert.

 

Diesen hilft es nur begrenzt weiter, mangels überzeugenden politischen Programms auf die fremdenfeindliche Karte zu setzen. Sie brauchen ein langfristiges, jederzeit abrufbares Dauer-Wahlkampfthema, das zudem die Menschen emotional berührt und dem sie sich nicht entziehen können.

Dieses emotionalisierende Dauerthema liefert die Gendern-Bewegung den Unions-Strategen.

 

Für diese ein umso wertvolleres „Geschenk“ des Lieblings-Feinds, als Gendern-Fans, unfähig, politische Zusammenhänge zu begreifen, sich nicht einmal vorstellen können, dass sie es sind, die in ihrer Naivität von Merz und Co. instrumentalisiert werden.

 

Die Vorlage dazu liefert die im 6. Abschnitt beschriebene Strategie in der Propaganda von US-Republikanern: Hier wird jeder Angriff auf den politischen Gegner mit der Gendern-Frage verknüpft - gemessen am eigenen Ziel ein perfektes Framing. Denn Gendern überlagert per se und auf emotionale Weise jeden öffentlichen Diskurs, garantiert also Dauer-Präsenz.

Und mehr noch: Die Verbindung von Sprache mit eigener Identität macht es keinem Menschen möglich, sich dieser Thematik zu entziehen - es sei denn, er verurteilt sich selbst und auf Dauer zum Schweigen.

 

 

Die Gendern-Bewegung stellt sich so als Trojanisches Pferd für erzkonservative und nationalistische Kreise zur Verfügung:

Ins eigene Selbstbild vernarrt, geht man jeder Finte auf den Leim, liefert den wirklichen Gegnern die Vorlage, die diese brauchen.

 

Doch die Ambitionen von Anti-Gendern-Kriegern aus Kalkül gehen weit über die Gendern-Frage hinaus: Rechtsnationalistischen Kreisen geht es nicht um Sprache oder Verstehen, sondern um politische Restauration und umfassendes gesellschaftliches Roll-back. Und sie haben für diesen Zweck die Gendern-Bewegung als zuverlässigsten Verbündeten erkannt.

 

    Und sicher nicht ungewollter Neben-Effekt dieser „konservativen“ Strategie ist, wenn dabei die Selbstzerstörung „linker“ Gesellschaftsmodelle befördert wird, die auf Gleichheit und Gerechtigkeit zielen. Indem sie spaltet und Solidarität im eigenen Lager zerstört, leistet die Gendern-Bewegung auch dabei „wertvolle“ Dienste.

 

    So unwahrscheinlich es ist, dass die Gendern-Strategie sich auf sprachlicher Ebene durchzusetzen vermag, so „vielversprechend“ erscheinen - aus rechts-nationalistischer Sicht - die Aussichten auf solche Selbstzerstörung der politischen Linken in Deutschland.

    Und diese wachsen in dem Maße, in dem die Widersprüche der Gendern-Bewegung sichtbar werden, sie sich mit blindem Aktionismus in Eskapismus verschließt, sachliche Kritik verfemt und so jede Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verspielt. 

 

Blindheit, für die es historische Beispiele gibt: So, wenn man etwa an die gegenseitige Selbstzerfleischung von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik denkt, welche in einem nicht unerheblichen Maß den Nazis erst den Weg ebnete.

 

           

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44  (https://www.spiegel.de/kultur/elke-heidenreich-ueber-gender-sprache-das-ist-alles-ein-verlogener-scheissdreck-a-d54d38a5-bc31-4338-9816-7f8646c5fc71)

 

 

45  https://www.nordbayern.de/politik/umerziehung-der-deutschen-bevolkerung-soder-wettert-gegen-das-gendern-1.12354460          , 19.07.2022

 

 

46  https://www.rnd.de/politik/friedrich-merz-gegen-gendern-bei-oeffentlich-rechtlichen-FBEA6IWJRWBGP5RMWSVYMB53NA.html, 10.09.2022      

    

 

47  So demonstriert eine Rapperin, die sich Lady Bitch Ray nennt, auf welch unterirdischem Niveau „prominente“ Gendern-Verteidiger sich bewegen. Sie fühlt sich als „Linguistin“ berufen, primitivste Feindbilder zu bestätigen: „Das Ablehnen der Gender­sprache bedient eine patriarchale, weiße Agenda.“

(https://www.rnd.de/politik/lady-bitch-ray-im-interview-ueber-gendergerechte-sprache-das-ablehnen-der-gender-sprache-bedient-XVIDNSPNCFBRVKQDVZ4CS4V7KY.html)

 

 

 

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