Werner Engelmann
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4) Gendern und soziales Milieu

 

 

4.  Schein kontra Sein – Gendern und soziales Milieu

 

 

 

 

Die voranstehende Kritik an der „Verirrung“ des US-amerikanischen Radikalfeminismus - so Élisabeth Badinter - bezieht sich auf eine Entwicklung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

 

Politisch und historisch stellt sich aber die Frage, wie es zu so einer Renaissance eines rückwärtsgewandten Frauenbilds in Gestalt der Gendern-Bewegung 30 bis 40 Jahre später, vorwiegend in Deutschland, kommen konnte.

 

Um diese Frage zu beantworten, reichen bloße linguistische Analysen, die es zuhauf gibt, nicht aus. Linguistische Theorien und „Belege“ dienen der Gendern-Bewegung ja nur als Vehikel zur Verbreitung ihres dualistischen Welt- und Frauenbilds sowie als Rechtfertigung.

Letzteres ist Gegenstand der Analyse im 8. Abschnitt.

 

Um zu einer Erklärung zu kommen, bedarf es auch sozialpsychologischer Analysen.

Hilfreich kann dabei auch ein historischer Vergleich der Gendern-Bewegung mit der 68-er-Bewegung sein. Denn hier wie dort war der universitäre Bereich Ausgangspunkt, in den USA wie in Deutschland. Und die Gendern-Bewegung, die sich selbst für historisch so bedeutsam hält, muss einen solchen Vergleich auch aushalten.

 

Im „revolutionären“ Impetus vergleichbar, steht die Gendern-Bewegung aber in scharfem Kontrast zu den 68ern, inhaltlich wie sozialpsychologisch.

 

Die 68er-Bewegung wurde außenpolitisch ausgelöst durch das Erschrecken über einen imperialistischen Krieg in Vietnam. Innenpolitisch, vor allem universitär, war dafür eine gesellschaftliche Erstarrung maßgebend, der „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“.

In Deutschland kam ein Generationenkonflikt hinzu, infolge des eisernen Schweigens der älteren Generation über ihr Verhalten in der Nazi-Zeit.

 

Verirrungen der 68-er-Bewegung sind hier nicht näher zu thematisieren. Entscheidend sind aber zwei Merkmale:

- einerseits ihre internationalistische Ausrichtung, erkennbar in der Identifikation mit Befreiungsbewegungen in der dritten Welt,

- andererseits, aus radikaler, antikapitalistischer Gesellschaftskritik kommend, ihre Hinwendung zum demokratischen Kampf, dem „Marsch durch die Institutionen“ - von terroristischen Abspaltungen wie der RAF abgesehen.

 

Historisch ebenso bedeutsam ist der Hass, mit dem die 68er in der Folgezeit - noch vor Aufkommen des RAF-Terrorismus - in der Bundesrepublik verfolgt wurden. Dies ist vergleichbar mit dem Verfolgungswahn gegen „Kommunisten“ in den USA während der Mc.Carthy-Ära.

Er realisierte sich in staatlich organisierter, flächendeckender Gesinnungsschnüffelei und Berufsverboten gegen Bewerber für den öffentlichen Dienst, vom Europäischen Gerichtshof verurteilt und in den Folgen bis heute nicht bewältigt.

Federführend für das Kesseltreiben gegen die 68er waren konservative bis nationalistische Kreise, von denen sich manche zur „konservativen Revolution“ verstiegen, deren Thesen heute auch das Weltbild in der rechtsextremen AfD prägen.  10

 

 

 

Die Gendern-Bewegung beruht, in ihrem Ursprung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, zunächst auf radikalfeministischer Kritik an den 68ern, welche die Frage weiblicher Emanzipation in den eigenen Reihen vernachlässigt hatte.

Die persönliche Betroffenheit macht so manche grotesk anmutende Überzeichnung - so bei Luise Pusch - erklärbar. 11

 

   In der - elitär und irrational geprägten - Fixierung auf Sprache zeigen sich aber auch Berührungspunkte der Gendern-Bewegung mit konservativen bis reaktionären Kräften in Deutschland.

Was im Weltbild konservativer Nationalisten der emotional aufgeblähte Begriff „Heimat“ ist, das ist für Gendern-Fans das universitäre Milieu. Die einen wie die anderen suchen hier „Schutz“ vor einer weltumspannenden Globalisierung, mit allen daraus entspringenden Verunsicherungen für die eigene „Identität“.

 

Offensichtlich sind „identitäre Bewegungen“ - zu denen auch die Gendern-Bewegung zu zählen ist - Reflexe auf die als bedrohlich empfundene Globalisierung. Dies gilt ebenso für Verschwörungstheorien, die gerade jetzt wie Pilze aus dem Boden schießen.

 

Äußerlich sind zweifellos Parallelen zwischen 68ern und Gendern-Bewegung zu erkennen:

 

Zunächst wird in beiden ein abgehobenes, akademisch-elitäres Selbstverständnis sichtbar.

Und solidarisierten sich die 68er mit Befreiungsbewegungen der 3. Welt, so hat die Gendern-Bewegung den Kampf gegen „Diskriminierung von Minderheiten“ auf ihre Fahnen geschrieben.

 

Doch deutlich dominieren die Unterschiede:

 

Der Internationalismus der 68er entsprang - mit allen Irrtümern - einer umfassenden Systemkritik am Kapitalismus, dem die Utopie eines weltumspannenden „demokratischen Sozialismus“ gegenübergestellt wurde.

Die Gendern-Bewegung ist dagegen in extremer Weise auf eigene Befindlichkeiten bezogen.

Die Vorstellung einer „Sprach-Revolution“ als Vehikel zum feministischen Todesstoß für das „Patriarchat“ bei Luise Pusch ist kaum mehr als ein abgeschmacktes Konstrukt zur Beförderung eigener Bedeutsamkeit. Und für die nachfolgenden Gendern-Fans zählt, neben eigenem Selbstgefühl, die dafür nötige Akzeptanz im engeren sozialen Milieu des universitären Bereichs.

 

Die Frauenbewegung, wie auch die 68-er-Bewegung, waren getragen vom Impetus als Teil einer weltweiten „Aktion“.

Die Gendern-Bewegung dagegen ist - wie der radikal-feministische „Differentialismus“ - gekennzeichnet durch Re-aktion, in ideologischer Hinsicht wie in der Praxis. Sie braucht zur Abgrenzung das Feindbild aggressiver „Männlichkeit“, projiziert auf Sprache.

Das Selbstbild als Vorkämpfer für neue „Geschlechter-Gerechtigkeit“, die Selbstzuschreibung einer vermeintlich besseren „Moral“ verschleiern lediglich das rückwärtsgewandte Welt- und Frauenbild vor sich selbst. 12

 

Und - last not least: Die 68er reagierten sehr sensibel auf einen weit entfernten Krieg. Und sie verfolgten ihre idealistischen Überzeugungen mit großer Konsequenz.

 

Die Gendern-Bewegung aber ist eher gekennzeichnet von Selbstbezogenheit und Anpassung. Selbst angesichts eines Krieges in unmittelbarer Nachbarschaft erscheint ihr das Wichtigste, jeden Diskurs mit sexistischem Subtext zu überlagern. So relativiert sie die aktuelle existentielle Bedrohung. - Ein Zeichen von politischer Instinktlosigkeit, das ein fatales Licht auf sie wirft.

 

 

 

Hinweise auf solchen selbstbezogenen Opportunismus geben etwa Berichte über Zustände an deutschen Universitäten. Missbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen und Willkür durch bestimmte Dozenten (beiderlei Geschlechts) werden widerspruchslos hingenommen - im Gegensatz zu den aufmüpfigen 68ern. 

Kompensiert wird dies durch elitäre Abgrenzung von der vermeintlich „frauenfeindlichen“ oder „rückständigen“ übrigen Sprachgemeinschaft. 13

 

Dabei scheinen ähnlichen Verhaltensmustern bei weiblichen und männlichen Gendern-Fans unterschiedliche psychologische Bedingungen zugrunde zu liegen.

 

Weiblichen Fans dient Gendern erkennbar zur Demonstration von „Selbstbewusstsein“ - wie aus vielen Stellungnahmen hervorgeht. Oft ist dahinter - wie im vorigen Abschnitt aufgezeigt -allerdings mühsam kaschiertes Minderwertigkeitsgefühl erkennbar. Und gelegentlich schlägt es um in Überlegenheitsdünkel und Männerhass. So etwa bei Luise Pusch. 14

 

Wirklich selbstbewusste Frauen haben es freilich nicht nötig, sich via Gendern selbst zu beweihräuchern. Sie sind selbstkritisch genug. Auch dafür gibt es zahllose Zeugnisse. 15

 

Bei männlichen Gendern-Fans dürfte das Feindbild des auf Gendern-Kritiker projizierten „Machos“ bedeutsam sein. Besonders in intellektuellen Kreisen verbreitet sich so Angst, als „Macho“ abgestempelt zu werden und als Außenseiter zu gelten. Dies befördert kritiklose Anpassung          an professorale Vorgaben von einer vermeintlich „gendergerechten Sprache“.

 

In der Psychologie ist dieses Phänomen als „Überanpassung“ bekannt.

Verdrängt wird in einer solchen Welt aufgeblähten Scheins die Frage, wie denn sexualisierter Sprachgebrauch realen partnerschaftlichen Umgang befördern und reale Ungleichheiten beseitigen soll. Nach der Logik bewirkt die permanente Betonung der Unterschiede ja gerade das Gegenteil.

 

Schein kontra Sein:

 

In der Konfrontation mit der Realität, bei der Frage, was sie denn in der Realität tatsächlich an „Geschlechtergerechtigkeit“ bewirkt, erweist sich der Pferdefuß der Gendern-Bewegung.

Eine Frage, die daher sorgsam vermieden wird.

 

 

 

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10            Vgl.: Konservative Revolution - Anschwellender Revolutionsgesang (1/2) | deutschlandfunk.de“.

Hier wird der konservative „Ausflug 'moderner Geistesaristokraten (...) in die Tiefen deutscher Mythen" verfolgt, von Hofmannsthal über Botho Strauß und Alexander Dobrindt bis zu ideologischen „Größen“ der AfD:

"Bei Hofmannsthal ist sie das Ergebnis einer komplizierten Reise durch die Geistesgeschichte, in deren Mittelpunkt die Sprache als Klebemittel der Nation steht. Denn nur sie, die Sprache, kann das 'Spirl widerstreitender Tendenzen - der aristokratischen wie der nivellierenden, der revolutionären wie der konservativen, zu einer Einheit verschmelzen'."

 

11   Siehe Fußnote 3

 

 

12   In der Abhandlung „Gendern, ‚politisch korrekte Sprache‘ und Moral“ vom Autor dieses Essays wird dies unter dem Aspekt von „Moral“ und Glaubwürdigkeit analysiert. Vgl. Fußnote 1.

 

13   Vgl. Fußnote 5.

 

 

14   Ihr Männerhass wird von Luise Pusch nicht kaschiert. So, wenn sie in „Das Deutsche als Männersprache“ „eine gezielte Allergie gegen das Maskulinum“ als Strategie empfiehlt. Persönliche Auseinandersetzungen projiziert sie auf „die deutsche Sprache“, steigert sich in die Rolle einer Jahrtausend-Reformerin hinein. (Vgl. Fußnoten 3,16,24).

               

       Und im Video-Interview mit dem Literaturhaus Zürich vom April 2021, an ein Schweizer Publikum gewandt, genießt sie geradezu ihre Häme gegenüber „den Männern“.

       Hier präsentiert sie ihr größenwahnsinniges Projekt, radikale Umgestaltung der deutschen Sprache für mindestens 100 Jahre, "damit die Männer sich daran gewöhnen, dass es auch Frauen gibt". In ihrem Dünkel entlarvt sie freilich ihr Ziel, allein Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen, die nur „mit-gemeint“ seien, als Heuchelei, mit der sie ihren Hass verschleiert: "Natürlich ist es viel zu lästig, die Männer immer mit zu erwähnen."

(https://www.youtube.com/watch?v=GKwuyaTzxTg&t=1216s).

 

Aufschlussreich ist, dass solcher Verbalradikalismus gerade in der Schweiz Beachtung erfährt. Da wurde erst 1971, als letztem Land in Europa, Frauenwahlrecht durchgesetzt. Und im Kanton Appenzell musste die Akzeptanz erst durch richterliches Urteil erzwungen werden. Luise Pusch hatte einmal an der Uni Konstanz gelehrt. Ihre Wendung zur „radikalen Feministin“ spiegelt ex negativo das extrem lange Verharren der Schweiz in patriarchalen Denkweisen wider. Radikalfeministische Phrasen versuchen, dies zu kaschieren und zu kompensieren.

 

 

15                   Außer auf Élisabeth Badinter, Nele Pollatschek (die sich durch den Zwang zu „Dauerfrausein“ geradezu beleidigt fühlt) sei - neben vielen anderen - etwa auch auf die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich (vgl. Fußnote 44) oder die Sprachwissenschaftlerin Ewa Trutkowski (vgl. Fußnote 32) hingewiesen:

https://kopo.de/blog/2021/02/08/nun-sag-wie-hast-dus-mit-dem-gendern/

 

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