Werner Engelmann
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FR-Diskussionen:                                                              GENDERN UND uMGANG DAMIT

 

Auszüge aus:

 

FR-Blog, Zehn kleine N-Wortlein und der Z-Wortjunge, 5.2.2022

 

Nachstehend aktuelle Beiträge aus dem FR-Blog.

 

Beiträge, für die keine Autorisierung für den Abdruck vorliegen, können unter folgenden Links eingesehen werden:

http://frblog.de/n-wort/#comment-65583

http://frblog.de/n-wort/#comment-65624

 

 

 

Werner Engelmann sagt:
 

Heinrich Hörtdörfer bringt es mit dem Hinweis auf "den Anschein von billigen, aber moralisierend sauberen Ersatzhandlungen", ziemlich gut auf den Punkt.

In der Tat wird Diskriminierung nicht beseitigt, sondern eher noch verschlimmert, wenn sich bestimmte selbsternannte "Moral"-Wächter berufen fühlen, "andere moralisch anzugehen statt sich inhaltlich mit ihnen auseinanderzusetzen".

 

Im Folgenden ein Beispiel, wie solche "moralische" Selbstüberhebung zudem noch mit "linguistisch" verpackter politischer Strategie verquickt wird.

So instrumentalisiert Anatol Stefanowitsch, Hauptpromotor der Gendern-Bewegung, unter dem Schlagwort "Gerechte Sprache als moralische Pflicht" die von ihm in Beschlag genommene "Moral". Der Impetus "diskriminierungsfreien Sprechens" wird mit solch diffuser Begrifflichkeit "moralisch" aufgeladen. Und dies wiederum benutzt er, um Maßnahmen und Verordnungen als "gerecht" zu feiern und zu fordern, die damit nicht das geringste zu tun haben. So die von Seiten der Universität Leipzig 2013 verfügte radikale Umformulierung der "Grundordnung" in Gestalt eines frei erfundenen "generischen Femininums".

Eine Maßnahme, die zu weiteren administrativen Verordnungen verschiedener Universitäten geführt hat, welche die Abhängigkeit von Studenten und Studentinnen nutzen, um ihr subjektiv als "moralisch" geortetes "Neusprech" auf kaltem Wege einzuführen. Dergestalt, dass sanktioniert wird, wer der verfügten Sprachverordnung nicht Folge leistet.

Die Zahl der entsprechenden Zeugnisse in Kommentaren zu einem von der Youtuberin Alicia Joe veröffentlichten, gut recherchierten Video ist erschütternd.

("Warum Gendersprache scheitern muss", https://www.youtube.com/channel/UCUJueAUOgylAOq5SsFp6NyQ).

Und der gleiche Herr Stefanowitsch, der nicht müde wird, "Moral", "Gerechtigkeit" und "diskriminierungsfreies Sprechen" zu predigen, beschuldigt auf seinem Twitter-Account alle, die Bedenken haben, der "Realitätsverweigerung". So antwortet er auf eine Kritik der Kommentatorin Ute Wellstein vom Hessischen Rundfunk höhnisch: "Aber warum sollte die „Gendersprache“ Rücksicht auf Menschen nehmen, die Realitätsverweigerung betreiben?" (@astefanowitsch, 10.6.2021).

 

Wie Herr Hörtdörfer richtig sagt: Wer solchen selbsternannten Sprach-Gurus folgt, ist sich sicher, auf der "richtigen" und  "moralisch überlegenen" Seite zu sein. Und dazu braucht man nicht einmal "den geringsten intellektuellen Anspruch".

Die Folgen für demokratischen Diskurs in der Gesellschaft brauchen hier nicht näher erörtert zu werden.

 

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Problematik findet sich auf der Website, erreichbar unter: Werner Engelmann, Gendern, "politisch korrekte Sprache" und Moral.

 

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Werner Engelmann sagt:

 

Jürgen H. Winter fragt zu Recht:

"Was befähigt die Erfinder dieser ganzen neuen Schreibweisen zu ihrem dogmatischen Tun ?

Etwas vereinfachend könnte man antworten: Sprachliche Ignoranz und völliger Mangel an Sensibilität.

 

Ein Blick etwa in "Genderwörterbücher" wie "gendern.de" oder "geschicktgendern.de", die sich der Beratung in Sachen "gendersensibles Sprechen" verschrieben haben, reicht da aus.

Die befreien uns endlich von so schrecklichen Wörtern wie "Wirten", "Staatsbürgern", Bäckern" oder "Hexen". Und mit "Gaststättebetreibenden", "Staatsbürgerschaftsinhabenden", "Backwaren produzierenden Personen" oder "Zauberkraft innehabenden Personen" führen sie uns vor Augen, wie "elegant" ihr Neusprech sein kann.

 

Nun könnte man einwenden, das seien ja nur Exzesse, die man doch vermeiden kann.

Nein, das kann man eben nicht. "Ein bisschen gendern" ist ebenso ein Widerspruch in sich wie "ein bisschen schwanger".

Sprache als wertvollstes Kommunikationsinstrument unbeschädigt zu erhalten ist Voraussetzung für den Zusammenhalt einer Sprachgemeinschaft. Sie dient allen und gehört niemandem.

Wer sich auf die Gendern-Ideologie einlässt, die darin besteht, dass Sprache ungestraft zu politischen (und sei es zu noch so "gut gemeinten") Zwecken zu gebrauchen - besser: zu missbrauchen - sei, der beeinträchtigt nicht nur Sprache in ihrer kommunikativen Funktion.

Einmal seiner Sprechblase entkommen und in der Realität gelandet, gerät er unwillkürlich auf diesen Weg der Selbstkarikatur.

 

So begegnet uns die "schöne neue Welt" des Neusprech, in der "Forschende" und "Studierende" Tag und Nacht über Büchern brüten, auch in der FR auf Schritt und Tritt.

Die Ideologie, die ihnen verwehrt, jemals "Schlafende", "Essende" oder "Feiernde" sein zu dürfen, deformiert mit der Sprache auch hier die Fähigkeit zu adäquater und präziser Wirklichkeitswahrnehmung.

 

Ganz zu schweigen, wenn die Verbreitung der "Allergie gegen das Maskulinum", welche die Gendern-Apologetin Luise Pusch auf die Fahnen ihrer Heilslehre schreibt, auf das Problem der deutschen Wortbildung trifft. Wie soll es denn nun heißen, um auch das anrüchige Wort "studentisch" in den Orkus zu jagen: "studierendenisch" oder vielleicht doch lieber "student:innenisch"?

Wer sich so in des Teufels Küche begibt, sollte sich vielleicht doch davor um einen Pakt mit dem Teufel bemühen.

Denn nicht nur hier es ist wie verhext: Meint man das verflixte Maskulinum im Plural endlich entsorgt zu haben, da taucht es im Singular als DER Forschende und DER Studierende auch schon wieder auf.

Was auch die selbst ernannten Sprachtherapeuten tun, die verflixte deutsche "Herrensprache" entzieht sich hartnäckig ihrer mit "radikalfeministischer Verve" und "entschlossener Parteilichkeit" vorgenommenen "Therapie".

(Luise Pusch, "Das Deutsche als Männersprache", 22017 (11984), S. 9 f. und S. 46)

 

"Rache des verdrängten Sprachsystems?", fragt sich dazu die Sprachwissenschaftlerin Gisela Zifonun. ("Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem", in: Sprachreport Jg. 34 (2018), Nr. 34, S. 44-56)

Vielleicht ist es aber auch eine mephistophelische Erfahrung für sprachliche Kleingeister in den Siebenmeilenstiefeln von Jahrtausend-"Reformern":

Die deutsche Sprache, "diese plumpe Welt, soviel als ich schon unternommen, ich wusste ihr nicht beizukommen. (...) So geht es fort, man möchte rasend werden."

("Faust", "Studierzimmer")

 

Jürgen Malyssek merkt zu den Bemühungen von "moralischen Sprachsäuberern" an: "Daraus kann eine feste Ideologie werden."

Meine Antwort dazu: Wie man sieht, ist es das ja schon geworden.

 

"Ideologie" dient nach Karl Mannheim der "Instrumentalisierung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit". (Ideologie und Utopie. 8. Auflage. Frankfurt 1995, S. 55)

Ihre Methode ist nach Karl Popper gekennzeichnet durch "dogmatisches Behaupten absoluter Wahrheiten" und von "Werturteilen als Tatsachen", "utopische Harmonieideale", "Immunisierung gegen Kritik" und ggf. auch "Verschwörungstheorien".

(Vgl. Wikipedia, "Ideologie", "kritischer Rationalismus")

Für die Gendern-Ideologie treffen diese Merkmale (bis auf, eingeschränkt, das letzte Merkmal) erkennbar zu.

(Dazu auf meiner Website: "Feministische Liguistik - Luise Pusch" und "Identitäre Ideologie und 'Sichtbarkeit' in der Gendern-Bewegung" - W.E., Gendern-Analysen.)

 

Konrad Mohrmann hat mit dem Hinweis auf die "Identitätsfalle" dazu das richtige Stichwort geliefert.

Gendern-Ideologie ist eng mit "identitärer" Ideologie verknüpft. Diese wiederum definiert sich selbst durch die Abgrenzung von "anderen" und verabsolutiert (ob mit "rechtem" oder "linkem" Anspruch) einzelne Merkmale von "Identität":

"Man definiert sich über sein Anderssein, will aber zugleich nicht über dieses Anderssein definiert werden." (Bernd Stegemann, Die Moralfalle: Für eine Befreiung linker Politik, Berlin 2018)

Ebenso leugnet auch die Gendern-Ideologie gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse.

So etwa der Soziologie, die schon lange weiß, dass jeder Mensch nicht nur durch eine geschlechtliche Rolle bestimmt ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Rollen ausfüllt.

Sie verabsolutiert insbesondere Geschlechtlichkeit und fällt in ein dualistisches Geschlechter- und Frauenbild des 19.Jahrhunderts zurück.

Dazu die Schriftstellerin Nele Pollatschek: "Deutschland ist besessen von Genitalien."

(https://www.tagesspiegel.de/kultur/deutschland-ist-besessen-von-genitalien-gendern-macht-die-diskriminierung-nur-noch-schlimmer/26140402.html)

Und Besessenheit kennt bekanntlich keinen Spaß.

 

Um solche immanenten Exzesse als "fortschrittlich" und "gerecht" zu verkaufen, okkupiert nun eine Gendern-Apologetin wie Luise Pusch die zweifellos verdienstvolle Frauenbewegung für sich. Und dazu genügt ein einfacher definitorischer Trick:

Sie unterscheidet zunächst terminologisch zwischen der (älteren) "Frauenbewegung" und ihrem eigenen (Radikal)-"Feminismus".

Dann behauptet sie, der Schwerpunkt der ersten habe "im Praktischen, vor allem in der Organisation" gelegen. Demgegenüber sei "Theoriebildung" das "Spezifikum der Neuen Frauenbewegung".

Dann fügt sie die beiden Elemente definitorisch wieder zusammen: "Feminismus ist die Theorie der Frauenbewegung."

(Das Deutsche als Männersprache, S. 134)

Und wie mit einem Zaubertrick ist so ihre "feministische Linguistik" definitorisch als "legitime" Erbin und Fortsetzung der älteren Frauenbewegung inthronisiert:

Eine definitorische Selbstermächtigung, welche "Gläubige" des beschwerlichen Gangs der ersten Frauenbewegung enthebt, Rechte in der realen Wirklichkeit (wie etwa in Dax-Vorständen) zu erkämpfen. Welche die Selbstbeweihräucherung der Teilhabe an einer "fortschrittlichen" Bewegung erlaubt. Und die zugleich einen Blankoscheck für alles erteilt, was auch immer unter diesem Label kommen mag - und sei es noch so kindisch.

 

Nun steckt dahinter gewiss eine gehörige Portion Scharlatanerie.

Deren Zweck ist in diesem Fall, genügend "Gläubige" zu finden, die sich im festen Glauben an ihre auf Sprache transponierte Heilsbotschaft und an die wirklichkeitsbildende Kraft der Sprache für die gewünschten Zwecke einspannen lassen.

Zu einfach wäre aber, mit dem Finger auf die Gutgläubigen zu zeigen, die darauf hereinfallen.

Denn um sich einer solchen Ideologie zu entziehen, muss man sie erst einmal durchschauen.

Und das ist, namentlich unter einem Gruppendruck, wie er offensichtlich vor allem an Universitäten gegenwärtig stattfindet, nicht ganz so einfach.

 

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Zum Problem des Genderns

und zu nachhaltiger sowie falsch verstandener Sprachentwicklung

 

- Essay von Werner Engelmann, 6. 6. 2021

 

 

(1) Martin Luthers Bibelübersetzung gilt in der Sprachwissenschaft als Beginn der neuhochdeutschen Sprache. Sicher zu Recht. Doch ist dies nicht allein der Person Luthers zuzuschreiben. Nachhaltige Sprachveränderung setzt sich durch, wenn neue Bedürfnisse der großen Mehrheit einer Sprachgemeinschaft den ihnen entsprechenden sprachlichen Ausdruck verlangen. So wie in diesem Fall gestiegenes religiöses Bewusstsein, das sich aus kirchlicher Bevormundung befreite. Und es fand mit Luther den Erfüllungsgehilfen, dessen geniale Idee, "dem Volk aufs Maul zu schauen", Identifikation für breite Massen ermöglichte und die Entwicklung einer deutschen Einheitssprache aus sprachlicher Zersplitterung beförderte.

 

(2) Die gegenwärtige "Gendern"-Bewegung bewirkt, oft mit messianischem Geist erfüllt, das gerade Gegenteil. Indem eine sich als "Vorhut" der Gesellschaft dünkende Minderheit meint, andere sprachlich bevormunden zu müssen, ruft sie notwendiger Weise eine Gegenbewegung hervor, spaltet sie die Sprachgemeinschaft nicht nur ideologisch, sondern auch sprachlich.

Der zur Rechtfertigung angebrachte Hinweis auf stete Sprachveränderung ist trivial. Entscheidend ist, ob Sprachveränderung von der gesamten Sprachgemeinschaft getragen wird, somit nachhaltig ist oder nicht.

Schon die Beispiele zweier diktatorischer Regime, die Sprache zu verordnen suchten, sollten vor Augen führen, dass solches Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist. Mit dem Untergang dieser Ideologien sind schon heute, wenige Jahrzehnte danach, deren "Sprachschöpfungen" beseitigt. Lediglich einige Schäden bleiben zurück, so, wenn an sich harmlose Wörter wie "Sonderbehandlung" definitiv unbrauchbar geworden sind.

 

(3) Zur Frage der Akzeptanz gehört der Nachweis der "Reformer", eine  tatsächliche Verbesserung für die gesamte Sprachgemeinschaft zu bewirken. Lediglich einen "guten Zweck" zu postulieren, so die sprachliche Anpassung an Diversität der Geschlechterrollen und "Gendergerechtigkeit", ist dazu nicht ausreichend. Entscheidend ist das Wie?, sind die tatsächliche Wirkungen und Folgen.

Die angepriesene vermeintliche "Lösung", radikale Sexualisierung des Sprachgebrauchs, steht aber nicht nur in deutlichem Widerspruch zum eigenen Postulat, sie ist auch kontraproduktiv und ein Rückfall in überwunden geglaubte Geschlechterkampf-Kategorien.(1)

Wenn ein Anatol Stefanowitsch zur "Begründung" solcher Sexualisierung ein "Recht auf Sichtbarkeit" aus dem Hut zaubert, so zeigen sich hier sogar Elemente feudalen Denkens. Denn in der feudalen Gesellschaft spielte "Repräsentation", also "Sichtbarkeit" der Fürsten vor dem Volk in der Tat eine bedeutende Rolle.

Und während man femininem "Recht auf Gleichstellung" zum Durchbruch zu verhelfen meint, wird zugleich das Recht all derer mit Füßen getreten, deren Selbstbewusstsein nicht von öffentlicher Zur-Schau-Stellung abhängt. Denn - so Nele Pollatschek: Es gibt auch ein "Recht auf Unsichtbarkeit": "Mein Geschlecht gehört mir. Nicht der Öffentlichkeit, nicht meinem Arbeitgeber." (2)  Und es gibt nicht wenige Frauen wie Judith Sevinc-Basad, die sich durch die wehleidige "Gendern"-Rhetorik als Frau "beleidigt" fühlen (3) .

 

(4) Kritik an Randerscheinungen anzusetzen, so etwa an stupiden "Gender"-Formen wie "Mitglieder:innen" zum Neutrum "Mitglied", geht allerdings am Wesentlichen vorbei.

Weit bedeutender erscheint die nachhaltige Schädigung der Sprachstruktur des Deutschen durch eine exzessiv praktizierte Vermeidungsstrategie: durch die Sucht nach substantivierten Partizipien im Präsens.

So machen die Betreiber:innen der Plattform "gendern.de" (die sich als "Beratende" in Fragen der "Gender-Sensibilität" verstehen!) selbst "Agenten", "Wirten" oder "Staatsbürgern" den Garaus. Im "Gender"-Neusprech haben nur "Engagementvermittelnde", "Gaststättebetreibende", "Staatsbürgerschaftsinhabende" noch eine Existenzberechtigung. Nur 3 von vorgesehenen 4.492 angeblich aus Gründen der "Gendergerechtigkeit" zu eliminierenden Begriffen. Beispiele für sinnbefreites radikales Wüten im deutschen Wortschatz.

 

(5) Wer aber meint, solche Lächerlichkeiten hätten in der Alltagspraxis sowieso keine Auswirkungen, der irrt.

Dazu ein Beispiel: Wenn etwa ein Betrieb 100 Arbeitskräfte (genannt "Arbeitende") zählt, aber nur 90 wirklich "Arbeitende" bei der Arbeit sind, weil die übrigen 10 "Sich-in-Urlaub-Befindende" oder einfach "Krank-Feiernde" sind - ist dann die Buchhaltung überhaupt noch in der Lage, korrekt abzurechnen? Oder setzt sie nicht - da nur ein Wort existiert - vielmehr die 90 tatsächlich "Arbeitenden" einfach mit 100 nominell "Arbeitenden" gleich?

Nicht nur beim Finanzamt dürften Probleme entstehen. Und die deutsche Sprache wird demnach künftig als mit mathematischer Logik inkompatibel gelten müssen.

Noch mehr betrifft es Deutsch als Kultursprache: Merkmal einer solchen ist höchste Ausdifferenzierung derart, dass für alle nur denkbaren Bedürfnisse einer Sprachgemeinschaft ausreichend Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Eine kulturignorante "Gendern"-Bewegung aber ist dabei, philosophische und literarische Qualität, in Jahrhunderten gewachsen, durch Zerstörung notwendiger Differenzierungen zu beeinträchtigen. In letzter Konsequenz hieße dies Rücknahme der internationalen Anerkennung als "Sprache der Philosophie".

Konkrete Ausführungen dazu, auch betr. ein Kafka-Verständnis, finden sich auf der unten genannten Website.

 

(6) Selbstverständlich gilt es, Erfolge emanzipatorischer Bewegungen, insbesondere der Frauenbewegung, in der Sprache angemessen widerzuspiegeln. Und dies heißt auch, sich angemaßten Sprach-"Bewahrern" von rechts entgegen zu stellen, die unter diesem Label die Rückkehr zu patriarchalen Verknöcherungen verbreiten.

Aber eine rational geprägte historische wie linguistische Betrachtung widerspricht auch der von der "Gendern"-Bewegung verfolgten Sexualisierung der Sprache: "Gendergerechtigkeit" erfordert im Gegenteil, dass sprachliche Konnotationen von Geschlechterrollen sich dem unterordnen, was den Menschen gemeinsam ist. Geschlechterrollen zu betonen hat nur dann einen Sinn, wenn der Kontext dies ausdrücklich verlangt. "Gendersensibilität" realisiert sich nicht in "Sichtbarkeit" um jeden Preis, sondern im gegenseitigen Respekt und in der sensiblen Wahrnehmung der Erfordernisse des jeweiligen Kontextes.

 

(7) Wie also dem Dilemma entkommen, sprachliche Neuerungen zuzulassen, ohne sich im Irrgarten sprachlicher Inkompetenz selbsternannter "Sprachreformer:innen" zu verheddern?

Die moderne strukturale Sprachwissenschaft hat längst den Ausweg gezeigt: Sprachliche Zeichen - somit auch Bezeichnungen für das Genus - sind nach de Saussure per definitionem "willkürlich". Für Sexus wie auch für ein selbstbewusstes Selbstbild ist es ohne Bedeutung, ob ein Wort mit maskulinem oder femininem Artikel (Genus) bezeichnet wird. Wenn unsere französischen Nachbarn "die  Katze" mit maskulinem Genus ("le chat") versehen, so "belegt" dies mitnichten ein grundverschiedenes Verhältnis zu dem genannten Tier.

Und die tätigkeitsorientierte Sprachwissenschaft (Wygotski, Leontjev) weist nach, dass jede Generation ihr Sprachverständnis aus der sie umgebenden Wirklichkeit neu entwickelt. So hat heutzutage bei dem Wort "Frau" niemand mehr die ursprüngliche Bedeutung als "Herrin" vor Augen, die der Minnesänger verehrte, um dem Feudalherrn zu gefallen. Es hat schlicht die Geschlechtsbezeichnung vom früheren "wip" ("Weib") übernommen. Ebenso denkt kein Mensch, der sich an der Alliteration des Ausdrucks "mit Kind und Kegel" erfreut, daran, dass mit "Kegel" ursprünglich uneheliche - und damit rechtlose - Kinder gemeint waren.

 

(8) Die Grundannahme, auf der die "Gendern"-Bewegung aufbaut, nämlich dass Wirklichkeit durch Sprache wesentlich zu formen sei, ist reine Fiktion. Als "Sapir-Whorf-Hypothese" ist dies in der Sprachwissenschaft längst widerlegt. Es ist umgekehrt die Wirklichkeit, welche primär die Sprache prägt.

Statt - wie die Mentorin der "Gendern"-Bewegung, Luise Pusch (4) - "gezielte Allergie gegen das generische Maskulinum" zu schüren, dem Deutschen "sprachliche Vernichtung der Frau" zu attestieren, es zum pathologischen Fall zu erklären, und sich, in skurriler Selbstüberhebung, als "Therapeut" oder "Therapeutin" an der Sprache zu versuchen, gilt es, das eigene Verständnis von "Sprache" zu hinterfragen und zu klären.

Es gilt, unter Bewahrung sinnvoller und notwendiger Grundstrukturen der deutschen Sprache, nach Möglichkeiten adäquater Ausdrucksformen für aktuelle Sichtweisen zu suchen und sie in diese zu integrieren.

 

(9) Wie das geht, das hat eine Sprachreform in Schweden auf der Grundlage breiter Diskussion bereits vorgemacht: So werden "frühere maskuline Wörter wie läkare ›Arzt‹ und lärare ›Lehrer‹ nicht mehr als maskulin kategorisiert (...), sodass sie problemlos für sowohl Männer als auch Frauen genutzt werden können." Selbst bei der strittigsten Frage geschlechtsspezifischer Pronomina ("han ›er‹ bzw. hon ›sie‹") wurde eine Lösung gefunden: "Seit 2000 hat sich ein neues, geschlechtsneutrales Pronomen ausgebreitet, hen." (5)

Konkret heißt das: Nicht ein ganzes Sprachsystem ist voluntaristisch nach individuellen "Bedürfnissen" umzumodeln. Vielmehr ist die INTERPRETATION sprachlicher Begriffe, im Einklang mit der Grundstruktur der Sprache, aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Für jede neue Generation ergibt sich dafür eine neue Chance.

 

(10) Dies setzt freilich voraus, dass unseliges ideologisches Hickhack zwischen selbsternannten elitären "Sprachreformern" einerseits und (meist rechts orientierten) "Sprachbewahrern" andererseits, die zugleich rückwärtsgenannte Weltbilder transportieren, einem unideologischen, rationalen gesellschaftlichen Diskurs weicht, der alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft berücksichtigt.

Zu diesem Zweck werden auf der folgend genannten Website Präzisierungen zu konstruktiven Formen der Sprachreform nach dem schwedischen Modell gegeben. Darüber hinaus finden sich hier Dokumentationen zum vorliegenden Projekt sowie ein Überblick über Statements und Diskussionen zum vielschichtigen Problem des "Genderns". Diese Website ist mit Suchmaschinen zugänglich über: "FR-Forum, Engelmann".

 

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1) Dazu: Nele Pollatschek: https://www.tagesspiegel.de/kultur/deutschland-ist-besessen-von-genitalien-gendern-macht-die-diskriminierung-nur-noch-schlimmer/26140402.html).

(2) "Das Recht auf Unsichtbarkeit", SZ, 27.1.2021,

https://www.sueddeutsche.de/kultur/gendern-gendergerechtigkeit-sprache-1.5186485?reduced=true

(3) https://www.deutschlandfunk...                           
(4) "Das Deutsche als Männersprache", "Diagnose und Therapievorschläge", Suhrkamp, 1991, S.11 und 54

(5) https://gfds.de/gendering-im-schwedischen/

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gendern aktuell, 12.10.2021                             Zur aktuellen Diskussion über "Gendern"

 

 

Für alle Interessenten:

Der Wahlkampf ist vorbei, und in die Gendern-Frage kommt wieder Bewegung.

Meine Zurückhaltung während dieser Zeit war durch die Sorge bestimmt, dieses gesamtgesellschaftliche Problem könnte zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werden. Außer einigen durchsichtigen Versuchen in der Union (Merz und Söder) war dies zum Glück nicht der Fall.

 

Die Diskussion kann nun wieder aufgenommen werden.

 

Dass eine breite Diskussion notwendig ist in einer Frage, die mit der eigenen Persönlichkeit eng verbunden ist und somit jedes Mitglied der Sprachgemeinschaft berührt, darüber kann kein Zweifel bestehen.

Nichts zu tun, das hieße, zuzusehen, wie die sprachliche und damit auch politische Spaltung der Gesellschaft fortschreitet.

 

Aus dieser Sorge heraus biete ich hier ein Projekt an, das jedem die Möglichkeit bieten soll, an der Diskussion teilzuhaben und eigene Sichtweisen einzubringen.

 

Dieses Projekt ist aufgeteilt in zwei Teile:

 

I.

In dieser Rubrik (FR-Projekte/Diskussionen) werden eigene Beiträge angezeigt, die bereits in der FR /oder dem FR-Blog) erschienen sind, sowie die von anderen Usern, soweit deren Zustimmung vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so erfolgt lediglich eine kurze inhaltliche Zusammenfassung, um den Bezug herzustellen. Eine Veröffentlichung der ganzen Beiträge ist möglich, wenn die Zustimmung auf dem Kontaktformular (Startseite) nachgereicht wird.

 

II.

in der Rubrik "Zur Diskussion: Gendern" werden sukzessive eigene Beiträge zu verschiedenen Aspekten der Gendern-Problematik veröffentlicht, die hier zur Diskussion gestellt werden.

Stellungnahmen werden, sofern die Zustimmung vorliegt, hier unverändert (wenn gewünscht anonym) veröffentlicht, sofern sie den Regeln der Netiquette entsprechen.

 

Um möglichem Missbrauch vorzubeugen, gilt hier zusätzlich zur Netiquette eine strenge Respektierung des thematischen Bezugs.

 

Beiträge, die eine Instrumentalisierung zu anderen, etwa parteipolitischen Zwecken erkennen lassen oder eine konstruktive Diskussion gezielt zu stören versuchen, werden prinzipiell nicht veröffentlicht.

 

Das Kontaktformular dazu findet sich auf der Startseite "FR-Forum".

(Bei namentlicher Zustimmung kann der Beitrag z.B. bei einer späteren zusammenfassenden Veröffentlichung berücksichtigt werden.)

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14.10.3021

 

Artikel der FR über Identitätspolitik und Gendern:

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/ein-nahezu-perfekter-taeter-identitaeten-bewegung-zwischen-den-kampflinien-91047753.html

 

Im Zusammenhang mit dem unter der Rubrik "Zur Diskussion" veröffentlichten Essay "Eine ganz persönliche Gendern-Erfahrung" sei auf die vorgenannte ausgezeichnete Rezension zweier kritischer Analysen von Harry Nutt vom 12.10.2021 verwiesen, die sich wie ein analytischer Beleg dazu liest.

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Kommentar: FR, 6.10.2021 -

 

Katja Thorwarth, Frauenministerin Lambrecht will Gendersternchen stoppen

 

https://www.fr.de/politik/frauenministerin-lambrecht-will-gendersternchen-stoppen-zr-91035268.html#idAnchComments

 

 

Kommentar:

 

Werner Engelmann6.10.2021• edited

 

"Die sozialdemokratische Frauenministerin Christine Lambrecht macht eine Kampfansage gegen das Gendersternchen*"

 

Den Ausdruck "Kampfansage" kann man in der Weise so nicht stehen lassen.
Und bevor ein Proteststurm anhebt und gegenseitige Verdächtigungen in den Raum gestellt werden, sollte erstmal sachlich differenziert werden.

 

1) Es handelt sich hier um eine Empfehlung der Ministerin "zur geschlechtergerechten Sprache in der Bundesverwaltung".
Dazu ist sie sehr wohl legitimiert.

 

2) Es handelt sich um Empfehlungen für "das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung".
Für dessen Festlegung sind (wie bei der Rechtschreibreform 1996 ausführlich diskutiert) die von den deutschsprachigen Ländern beauftragten Kommissionen zuständig.
Auch in dieser Hinsicht ist der Vorschlag der Ministerin legitim.

 

3) Um die Gendern-Frage in ihrer gesellschaftlichen Tragweite zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass Gendern nicht einfach ein individuelles Problem darstellt, wonach jeder reden könne, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
Vielmehr stellt es einen massiven Eingriff in das SYSTEM der deutschen Sprache dar, wie er in der deutschen Sprachgeschichte noch nicht vorgekommen ist.


Und dies auf drei verschiedenen Ebenen:
a) der Ebene der Rechtschreibung
b) der Ebene des grammatischen Systems
c) der Ebene der Bedeutungen, also des lexikalischen Systems
.

 

Zu b) grammatisches System:
Die Eliminierung des "generischen Maskulinums" als einem einfachen und effektiven grammatischen Mechanismus - der keine Geschlechtervorgaben enthält - führt zu vielen Tausenden von Problemfällen und hilflosen Vermeidungsstrategien, die nicht in das grammatische System integrierbar sind.

 

Zu c) lexikalisches System:
Dies betrifft insbesondere viele Tausende von krampfhaften partizipialen "Ersatzformen", die ebenso viele sinnvolle und notwendige Begriffe aus dem Sprachgebrauch eliminieren, notwendige Bedeutungsunterscheidungen plattwalzen und die deutsche Sprache in ihrer Präzision sowie in ihrer Ausdruckskraft beschädigen.


Beispiele:
- "Studenten" sind NICHT identisch mit "Studierenden", denn sie müssen ja neben dem Studieren gelegentlich auch schlafen, essen usw. (also außer "Studierenden" auch "Schlafende", "Essende" usw. sein.)
- Die Zahl der "Arbeiter" eines Betriebs ist NICHT identisch mit der Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt "Arbeitenden". Denn in jedem größeren Betrieb wird es auch "Sich-in-Urlaub-Befindende", "Krank-Feiernde" usw. geben.

 

4) Zur Frage der Legitimität und Verantwortung:

 

Im Unterschied zu Frankreich gibt es in Deutschland keine staatliche Institution, welche Vorgaben auf den Ebenen der Grammatik und der Lexik macht und dazu befugt wäre.
Es wird darauf vertraut, dass die Weiterentwicklung der Sprache eine GESAMTGESELLSCHAFTLICHE Aufgabe und auf diese Weise auch lösbar ist. Was aber auch bedeutet, dass dementsprechend die Belange ALLER Sprecher der Sprachgemeinschaft zu berücksichtigen und diese in die Diskussion einzubeziehen sind.

In der Praxis gab bisher der Duden Maßstäbe für den öffentlichen, nicht aber den privaten Bereich vor.
Mit der Entwicklung der Gendern-Bewegung haben bestimmte gesellschaftliche Kreise, vor allem Medienvertreter und die öffentlich-rechtlichen Anstalten die Funktion des Dudens an sich gerissen und versuchen, aus einem individuellen Sprachverständnis heraus, neue Normen des Sprachgebrauchs vorzugeben.
Dies ist sehr wohl - insbesondere für den ÖR - hinsichtlich der Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft, in politischer wie auch in rechtlicher Hinsicht problematisch.
Was die politische Frage betrifft, sei auf die so betriebene faktische Spaltung der Sprachgemeinschaft verwiesen, was auch die Frage der Verantwortlichkeit für sich daraus ergebende Tendenzen der dogmatischen Verhärtung auf beiden Seiten und der Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas aufwirft.

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                        Gendern aktuell, 21.8.2021                          

 

Zur aktuellen Diskussion über "Gendern"


Sprache, Individuum und Gesellschaft


"Sprache ist Träger von Sinn und Überlieferung, Schlüssel zum Welt- und Selbstverständnis sowie zentrales Mittel zwischenmenschlicher Verständigung."
(Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst , 2014, S. 98), verkuendung-bayern.de)
Als solche ist Sprache Brücke des Individuums zur Welt und zugleich zur Gemeinschaft. Sie ist als weltanschaulich neutrales System ideologisch bestimmten Differenzierungen vorgeordnet.
Das bedeutet, dass sie in ihrem Systemcharakter gerade nicht von ideologischen Vorgaben - welcher Art und wie "gut gemeint" auch immer - abhängig gemacht werden darf. Wer als selbst ernannte "Vorhut der Gesellschaft" meint, "Sprachwandel" ohne breiteste gesellschaftliche Diskussion und Akzeptanz organisieren und vorgeben zu müssen, spaltet die Sprachgemeinschaft und beschädigt die Sprache in ihrer umfassenden, weltanschaulich neutralen kommunikativen Funktion.
Dies ist, kurz gefasst, der zentrale Irrtum der "Gendern"-Ideologie.


Sprache und Wahlkampf


Noch schlimmer freilich ist, Sprache und Sprachverhalten parteipolitisch zuordnen oder gar in parteipolitische Auseinandersetzungen zerren zu wollen.
Eben dies aber versucht gegenwärtig ein Friedrich Merz, wenn er auf Social Media gegen die Grünen wettert:
„Die Gender-Sprache soll uns allen aufgezwungen und das Land überzogen werden mit neuen Verhaltensregeln, Steuern und Abgaben.“
(https://www.fr.de/politik/merz-baerbock-cdu-gruene-bundestagswahl-gendern-migration-klima-90908114.html#idAnchComments), 8.8.2021
Hier soll erkennbar interessenbedingte Politik (hier der CDU) verschleiert werden, die in Widerspruch steht zu zentralen demokratischen Werten von sozialer Gerechtigkeit, und zugleich eigenes - in Ansätzen totalitäres - Gesellschaftsverständnis anderen unterschoben werden.
Ein solches Vorgehen zerstört, im Sinne einer von Trump vorexerzierten Demagogie, grundlegende Werte der Gesellschaft. Es ist, nicht nur aufgrund seiner gezielten Falschaussagen, in hohem Maße verwerflich.


Zum Projekt der FR und zur aktuellen Diskussion über "Gendern"


Über die konkrete Planung der FR zum genannten Projekt gibt es gegenwärtig keine Information.
So wichtig eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung über die angesprochenen Fragen ist, diese unter den angesprochenen Bedingungen zu Zeiten des Wahlkampfs führen zu wollen, wäre im Sinne eines demokratischen Verständnisses verheerend und gesellschaftlich nicht zu verantworten.
Aus diesem Grund wird es in dieser Zeit meinerseits dazu keine Stellungnahme geben, die sich in das vorgegebene demagogische Schema einordnen ließe. Und ich bitte alle, die sich demokratischen Werten und Verhaltensweisen verpflichtet fühlen, dies in gleicher Weise zu unterlassen.
Zur Vorbereitung einer späteren Diskussion über produktiven Umgang mit dem Problem des "Genderns"
An dieser Stelle sei im Vorgriff und zur Vorbereitung ein kurzer Essay wiedergegeben, der als mögliche Diskussionsgrundlage bei der Redaktion der FR eingereicht wurde.
Weitere, detailliertere Stellungnahmen zu linguistischen, ideologischen und politischen Prämissen sowie Folgen des "Genderns" sei späteren Diskussionen vorbehalten.


Werner Engelmann

 

 

Diskussion in der FR über "Gendern":

23.4. - 21.5.2021

 

  Übersicht:

 

- Über den Umgang mit Robert Habeck

- Zum Problem des "Genderns" in der FR

- Zu "linker" Identitätspolitik

- Die Genderfrage als Herausforderung: Was tun?

- Politische Dimension des "Genderns"

- Politische Analyse

- Linguistische Analyse

- Vorschläge für eine rational bestimmte, gendergerechte Sprachreform

- Überlegungen zu Handlungsstrategien

 

 

 

 

 

Diskussion über den Umgang mit Robert Habeck

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cashmerewolle  23.4.21

also, ich finde es sehr ungerecht, wenn der Herr Habeck hier als "Heulsuse" abqualifiziert wird. Genauso würde ich im umgekehrten Falle argumentieren, wenn die Frau Baerbock als solche dargestellt würde.

 

Werner Engelmann -> cashmerewolle 23.4.21

Ich stimme Ihnen völlig zu.

Sie haben offenbar die Voreingenommernheit richtig erkannt, aufgrund derer sich Herr Hebel hier reichlich verrannt hat.

Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch in der "Beweisführung" völlig daneben:

In keiner der Äußerungen Herrn Habecks kann ich eine Rechtfertigung für eine solch herablassende und arrogante Abwertung als einem von "Selbstmitleid" ergriffenen Menschen oder gar als "Heulsuse" erkennen.
Und unseriös ist es zu unterschlagen, dass derselbe Herr Habeck vorher bei der Nominierung von Frau Baerbock selbst mitgewirkt haben muss.

Herr Hebel liefert aber auch ein klares Indiz, dass es ihm gar nicht um Herrn Habeck geht: "Eine männliche Form der „Heulsuse“ muss her."

Da muss dann Herrn Habeck eins ausgewischt werden, um sich selbst als kämpferischer "Gendern"-Fan und "Feminist" präsentieren zu können.
Und er muss als vermeintlicher "Beleg" herhalten für das vorab gesetzte, verallgemeinernde Postulat vom Deutschen als bloßer Ausdrucksform einer "männerdominierten Gesellschaft".

Entlarvend ist dabei nicht nur Herrn Hebels unkritische Affirmation der von Verallgemeinerungen strotzenden These einer Luise Pusch vom "Deutschen als Männersprache".
Auch deren fragwürdige Methodik wird hier sichtbar, nach der individuelle Menschen lediglich als Verkörperung einer a priori angenommenen Theorie begriffen und beurteilt werden. Nach individuellen Eigenschaften wird gar nicht mehr gefragt. Und schon gar nicht wird versucht, mit dem Urteil auch dem Menschen gerecht zu werden.
Eben das sind Merkmale einer Ideologie.

Es ist auch zu erkennen, in welchem Maße selbst ein ansonsten seriöser Journalist journalistische Sorgfalt vermissen lässt, jegliche Distanz und krtitische Selbstreflexion verliert, wenn er sich erst einmal selbst zum Propagandisten degradiert hat.

 

cashmerewolle -> Werner Engelmann , 24.4.21

danke, Herr Engelmann, für Ihre differenzierte wie umfangreiche Betrachtung, der eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist.

 

Werner Engelmann -> cashmerewolle , 24.4.21

Danke für Ihre Rückmeldung!

Erlauben Sie dennoch, einiges hinzuzufügen. Und es wäre schön, zu den Überlegungen ein kritisches Wort zu hören.

Zunächst, was die eigenen Emotionen betrifft:
Es tut mir schon auch weh, von einem Journalisten, den ich durchaus schätze, einen solchen, wie ich meine, verfehlten Kommentar zu lesen. Es drängt sich mir aber der Verdacht auf, dass es sich nicht bloß um einen Fauxpas handelt.

Auch bei anderen ist, sobald es ums "Gendern" geht, ein ähnliches Vorgehen zu beobachten: etwa bei Sonja Thomaser, Kommentar zu Merz (https://www.fr.de/meinung/k...
- Dazu ein ausführlicher Kommentar von mir mit den Fakten).

Und zur Analyse:
So absurd die Erwartung erscheint, dass mit Sternchen und -innen-Endung auch nur eine einzige Frau mehr in Dax-Vorstände gehievt werden könne - auf ironische Weise scheint sich hier die völlig unbelegte Grundhypothese, Realität über Sprache verändern zu können, teilweise zu bestätigen: Statt der erwarteten äußeren Realität ändert sich aber - in dem Maße, indem diese "Bewegung" missionarisch propagiert wird - die Einstellung der "Missionare" selbst: ihre Sicht auf andere Menschen, und hier im Besonderen auf solche, die eine andere Meinung vertreten.

Um dies an dem Kommentar von Stephan Hebel zu verdeutlichen:
Hier wird (dazu noch erheblich überspitzt) ein einziges Merkmal herausgegriffen und dann der ganze Mensch Habeck einer vorab festgelegten Kategorie "Heulsuse" zugeordnet.
Erschreckend dabei, dass es nicht mehr darum geht, dem Menschen Habeck irgendwie gerecht zu werden, sondern dass dieser als Mittel zum Zweck der Bestätigung eines eigenen Bedürfnisses benutzt wird - hier: ein maskulines Pendant zu "Heulsuse" zu finden.

Ein Verfahren, das ein bezeichnendes Licht auf Willkür, Zwanghaftigkeit und Unausgegorenheit der Idee des "Genderns" wirft. (Die Vielzahl an Ungereimtheiten, welche eine seriöse linguistische Analyse aufdeckt, lasse ich hier mal weg.)
Diese reduziert Menschen auf die gleiche Weise wie hier auf ein Merkmal:
männlich, weiblich oder binär, um sie (so die Behauptung), "sichtbar" zu machen. "Sichtbar" werden aber gerade nicht die Menschen, sichtbar wird nur ein einziges (in der Regel völlig unwichtiges) Merkmal unter vielen.

Nicht anders die dem "Gendern" ideologisch zuzuordnende (angeblich "linke") "Identitätspolitik". Dass diese intentional der Identifikation mit Minderheiten entspringt, diese aufzuwerten versucht, ist für die politische Wirkung relativ unerheblich. Entscheidend ist die Methode der Ab- und Ausgrenzung von anderen Menschen. Und diese ist - vom positiven Vorzeichen der Bewertung abgesehen - im Prinzip die gleiche wie beim negativen, reaktionären Gegenentwurf der "Identitären".

Ob mit "linkem" oder "rechtem" Selbstverständnis: "Man definiert sich über sein Anderssein, will aber zugleich nicht über dieses Anderssein definiert werden" (Bernd Stegemann, Die Moralfalle: Für eine Befreiung linker Politik, Berlin 2018)

Und beide zusammen führen zu gesellschaftlicher Spaltung, Kulturkampfattitüden, Hass und Vergiftung des gesellschaftlichen Diskurses, wie es in den USA in erschreckender Weise zu beobachten ist.

Selbstbetrügerisch ist, politische Analysen aus dem Bewusstsein vorzunehmen, auf der "richtigen" Seite, bei den "Guten" zu stehen. Verantwortung kommt beiden Seiten zu.

So etwa macht der Politikwissenschaftler Mark Lilla die Identitätspolitik der Linken für den Wahlsieg Donald Trumps 2016 verantwortlich. (Omri Boehm: Identitätspolitik: Wer ist das Wir? In: Die Zeit. 16. August 2017, Besprechung des Lilla-Buches ThOnce and Future Liberal).

In den USA liegen die Ursachen der tiefgehenden gesellschaftlichen Spaltung nun schon einige Jahre zurück. Mit der kritiklosen Übernahme von Strategien der "Gender"-Bewegung wie auch "linker" Identitätspolitik schwappen aber auch amerikanische Zustände und Missstände des unversöhnlichen politischen Kampfs herüber.

Wie fatal sich solche Orientierung an vermeintlich "linken" Positionen der US-Politik auswirkt, verdeutlicht sich etwa am Shitstorm im Netz gegen einen (über jeden Verdacht betr. Rechtsaußen-Positionen erhabenen) Wolfgang Thierse, der es wagte (wie oben dargestellt), deren "Weisheit" in Frage zu stellen. (Dazu das sehr gute Interview mit Wolfgang Thierse auf "Phoenix"): https://youtu.be/mrMj8_qmRdc


oder der Kommentar der "Nachdenkseiten": https://www.youtube.com/wat...

Solche Entwicklungen und Vorgänge bereiten mir erheblich mehr Sorgen als ein einzelner verfehlter Kommentar.

 

cashmerewolle -> Werner Engelmann, 25,4.21

Hallo, Herr Engelmann, Sie schreiben mir hier derart dezidiert und ausführlich, dass ich mit meinen meist kurzen Antworten fast ein schlechtes Gewissen bekomme. - Nach dem ersten Überlesen möchte ich Ihnen schon zustimmen. Nur damit würde ich es mir wohl etwas zu einfach machen. Nein, ich denke, ich werde mir dies alles nochmal genauer zu Gemüte führen, darüber nachdenken, und erst dann inhaltlich darauf zurückkommen.?

 

Werner Engelmann ->cashmerewolle, 25.4.21

Danke!
Nichts anderes habe ich erwartet.
Der Diskussionskultur in einer Zeitung wie dieser kann es ja nicht schaden, wenn Leute, mit denen man diskutieren kann, ein Zeichen setzen.

 

cashmerewolle -> Werner Engelmann , 26.4.21

so, Herr Engelmann, da bin ich wieder. :)
Ich denke, ich wäre mit der Frau Thomaser wohl nicht ganz so streng umgegangen. Sicherlich hätte sie in ihrem ansonsten wohltuend abgefassten Aufsatz zu Herrn Merz ihre Ansicht als Vermutung kennzeichnen können. Ich selbst neige allerdings auch dazu, dass der Herr Merz gerne das Gendern verbieten wolle. Dies passte auch zu seinen bisherigen erzkonservativen Einlassungen. Allerdings muss ich dabei einräumen, dass ich ihm gegenüber nicht unvoreingenommen bin. Ihren Ausführungen zur Kritik des Herrn Hebel an Herrn Habeck schliesse ich mich gerne an. Ebenso, wie zu Ihren Zeilen betreffend den Einschätzungen des Herrn Wolfgang Thierse.
Abschließend teile ich auch Ihre Sorgen zu den Entwicklungen und Vorgängen im öffentlichen Diskurs.

 

Werner Engelmann -> cashmerewolle, 28.4.21

Entschuldigung, dass meine Antwort etwas gedauert hat. Ich bin dabei, (neben einigen anderen Verpflichtungen) nach und nach Fragen abzuarbeiten, die (erfreulicherweise) aufgetaucht sind.

Prinzipiell:
Wie bereits angedeutet, halte ich es für sehr wichtig, von einer extrem personalisierenden Diskussion wegzukommen, sie zu versachlichen und Kritik differenziert an Sachpunkten festzumachen.
Das heißt für die Kritik an den letzten beiden FR-Kommentaren: Es geht nicht um die Personen, sondern darum, der Frage nachzugehen, in welchem konkreten gesellschaftlichen Kontext bestimmte Kommentare entstehen und welche Einflüsse desselben auf Haltungen der Personen feststellbar sind.

 

Zu Friedrich Merz:
Dass ich diesen für einen höchst gefährlichen Politiker halte, habe ich oft genug erkennen lassen. Aber gerade deshalb ist differenzierter Umgang mit dem, was er von sich gibt, angesagt, um nicht "Lügenpresse"-Krakeelern Raum zu geben.
Dass er sich nicht scheut, sich ziemlich skrupellos aller möglicher Ansätze zu bedienen und sie für seine Zwecke zu instrumentalisieren, habe ich auch angedeutet: in dem Fall der französischen Sprachenpolitik. Deshalb bedurfte es auch vergleichsweise ausführlicher Ausführungen zu diesem Problem, um seinen Instrumentalisierungsversuch kenntlich zu machen.
Ich zweifle ebenso wenig wie Sie am "erzkonservativen" Charakter seiner "Einlassungen", und auch nicht daran, dass er - so er denn ans Ruder käme - mit Verboten, auch bez. "Gendern" nicht zögern würde. Nur: Er SAGT es eben NICHT, beschränkt sich auf mehr oder weniger vage Assoziationen, die einen stringenten Nachweis seiner tatsächlichen Absichten nicht erlauben. Ein von einem bestimmten Presseorgan (mit den großen Buchstaben) bekanntes Verfahren. Solche Analysen habe ich schon vor 30 Jahren in meinem Unterricht vorgenommen. Ein Hinweis zudem, wie ich den Herrn gesellschaftlich einordne.

 

Zur Kritik an Frau Thomaser:
Dass ich ihr in weiten Teilen zustimme, habe ich kenntlich gemacht. Ebenso, dass die Kritik ganz konkrete Punkte betrifft.
Und zwar (1), dass sie zutreffende Kritik an Merz mit höchst problematischen Aussagen zur "Gendern"-Frage verbindet und dass sie (2) aus einer Vermutung betr. Merz eine Tatsachenbehauptung macht ("Friedrich Merz will Gendern verbieten").
Solche sachliche Kritik muss ein Journalist/ eine Journalistin nicht nur ertragen. Die FR sollte für solche Hinweise auch dankbar sein. Denn Tatsachenbehauptungen über andere Personen sind auch eine juristisch bedeutsame Kategorie. Herr Merz kann dagegen ja auch juristisch vorgehen. Und wie man von ihm weiß, ist er mit solchen Schritten nicht gerade zimperlich.

 

Zur weiteren Diskussion:
Im Dialog mit Herrn Dietze haben sich einige interessante Aspekte auch bez. Vorgehensweisen herauskristallisiert. Ich möchte diesen daher fortsetzen.
Es wäre schön, wenn Sie (oder andere User/Userinnen) sich daran beteiligen würden.

Allen Usern und Userinnen wünsche ich an diese Stelle noch einen möglichst angenehmen 1. Mai.

 

cashmerewolle -> Werner Engelmann , 30.4.21

Ich danke Ihnen, Herr Engelmann, - und einen schönen Maifeiertag wünsche ich Ihnen auch.

 

 

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Zum Problem des Genderns in der FR

 

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Stefan Stukenbrok FR.de -> Werner Engelmann , 25.4.21

Entschuldigen Sie bitte, wenn manche Ihrer Kommentare überdurchschnittlich lange im Pending stehen bzw. immer wieder dort reinrutschen, obwohl sie schon freigegeben wurden.
Disqus hat regelmäßig Probleme mit sehr langen Texten, insbesondere, wenn noch Links enthalten sind.

Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie mal versuchen, so einen Kommentar in drei Teile zu splitten. Dann müsste es reibungsloser klappen.

 

Werner Engelmann -> Stefan Stukenbrok, 25.4.21

Danke für die Nachricht und den Vorschlag! Ich habe auch schon daran gedacht.

 

Werner Engelmann ->Stefan Stukenbrok , 25.4.21

Sehr geehrter Herr Stukenbrok,

ich vermute, Sie haben bemerkt, dass sich hier ein konstruktiver Dialog entwickelt hat, der über das Thema deutlich hinausführt.
Sachverhalten auf den Grund zu gehen und Ideen weiterzuentwickeln, das kennzeichnet nun freilich auch einen konstruktiven Dialog, bei dem man sich nicht einfach mit flapsigen Statements abfindet.

Ich bitte Sie daher, diesen Dialog nicht zu unterbinden und weitere "Exkurse" zuzulassen.

Selbstverständlich bin ich bereit, diesen Dialog auch auf einem themenspezifischen Kommentarbereich fortzuführen. Und das wäre auch - so es denn angeboten würde - erheblich besser.

Dass ein großes Bedürfnis danach besteht, lässt sich u.a. daran ablesen, dass dies bei verschiedensten Usern und bei den unterschiedlichsten Themen immer wieder durchbricht.
Ebenso ist nicht zu übersehen, dass uns diese Thematik noch auf unabsehbar lange Zeit erhalten bleibt.

Eine Linguistik, die sich an Fakten orientiert und nicht meint, mit vorweg gesetzten Postulaten politische Positionen unterjubeln zu müssen, kann die genannten Feststellungen auch leicht erklären:
Da jedes Handeln auch sprachliches Handeln ist, wird jede inhaltliche Stellungnahme (die Frage nach dem Was?) auf einer Meta-Ebene von der Frage nach dem Wie? überlagert.
Die Tätigkeitstheorie der Linguistik (die Sprech-Handeln im Kontext des Handelns, also der tätigen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, sieht) spricht hier von "Kontrollhandlung".
Diese erfolgt meist unbewusst, gelangt nur an bestimmten Stellen (meist beim Auftauchen von Problemen) zum Bewusstsein.

Fazit:

Dass die "Gendern"-Frage immer wieder auftaucht und sich Bahn bricht (was von vielen als "Störversuche" einiger "Unbelehrbarer" empfunden und diskreditiert wird), ist natürlich und notwendig. Dies umso mehr, wenn die explizite Thematisierung vernachlässigt oder gar unterdrückt wird. (Auch dazu habe ich einige Hinweise.)

Mein Vorschlag:

Die FR sollte eine Sparte dazu eröffnen, welche die Möglichkeit der Kommentierung und des Meinungsaustauschs bietet und regelmäßig abgerufen und aktualisiert werden kann.
Ähnliches hat ja schon nach 2015 in Form einer Serie zur Flüchtlingsfrage existiert, im Bronski-Blog auch zur Integration nach dem Krieg ("Ankunft nach Flucht") und zu Erfahrungen der 68er-Generation.

Meines Wissens besteht eine solche Themenreihe, die über sporadische Thematisierung hinausgeht, noch bei keiner Zeitung.
Es würde der FR als einer Zeitung, die stolz sein kann auf ihre lange liberale Tradition, zur Ehre gereichen, sich als erste dieser Problematik in nachhaltiger Weise anzunehmen.
Und es würde einen Beitrag leisten zu einem konstruktiven gesellschaftlichen Dialog, der aus der deutlich erkennbaren Tendenz herausführt, sich zunehmend in ideologischen Schützengräben einzuigeln.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Engelmann

 

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Zu "linker" Identitätspolitik

 

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MartinDietze ->Werner Engelmann , 26.4.21

Danke! Ich stimme dem von ganzem Herzen zu und habe dem auch nicht viel hinzuzufügen. Das Engagement für Gendersprache als Bestandteil linker Identitätspolitik zu betrachten, ist m.E. vollkommen richtig, und auch die Denkanstöße von Wolfgang Thierse finde ich sehr bedenkenswert.

Ich denke, dass man die linke Identitätspolitik als das Pendant der bürgerlichen, intellektuellen Linken zur Arbeitnehmerpolitik der traditionellen Linken bezeichnen kann. Und das ist Segen und Fluch zugleich: auf der einen Seite ist es etwas Gutes, Gesellschaftsschichten zu überbrücken, auf der anderen führt das auch leicht zu einer Zerreißprobe, weil Schwerpunkte und Hintergründe ganz unterschiedlich sind.

Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek lästert ja gern über Political Correctness, und er hat das, wie ich finde, in Bezug auf das politische Spektrum in den USA schön - und natürlich auch auf etwas provokante Art - formuliert: um zu verhindern, dass traditionelle Linkswähler zu Rechtspopulisten (in dem Fall Trump) abwandern, muss die Linke von ihrem moralisch-überhöhten Hocker herunter kommen und wieder richtig "links" sein.

Hier ist eine Mitschrift des Texts (der auf youtube zu finden, aber schwer zu verstehen ist): Slavoj Zizek on white liberals and how to defeat Trump.

 

Werner Engelmann ->MartinDietze , 27.4.21

Um nur zwei Punkte aus Ihrem Statement zu weiterer Reflexion herauszugreifen:

1) "linke Identitätspolitik als das Pendant der bürgerlichen, intellektuellen Linken zur Arbeitnehmerpolitik der traditionellen Linken"

Eine interessante These, die, wenn sie sich verifizieren ließe, zu weiteren sehr kritischen Fragen führen würde:

Letztere beruht (a) auf der Erkenntnis von "Klassenkämpfen", die sich nicht gegen "Kapitalisten" als Person, sondern als Repräsentanten einer Klasse richten, und (b) auf dem Grundwert der "Solidarität".

"Linke Identitätspolitik" bewirkt in beiderlei Hinsicht das gerade Gegenteil:
Sie verlagert (a) mit Aus- und Abgrenzung die Kämpfe auf die persönliche Ebene, und sie proklamiert, statt Solidarität, extremen Individualismus ("Sichtbarkeit" - alias Selbstdarstellung) und Vereinzelung.

Fazit: Eine reaktionäre Politik, die (im Marxschen Sinn) der Verschleierung wirklicher Interessen und Interessengegensätze dient.

(Fortsetzung im nächsten Beitrag)

 

Werner Engelmann -> MartinDietze , 28.4.21

Fortsetzung meiner Antwort:

2) Ein Kernsatz von Wolfgang Thierse im Interview lautet:

"Ohne Aneignung von Fremdem gibt es keine Kultur."

Das von Thierse genannte Beispiel, eine weiße Holländerin dürfe nicht Verse einer farbigen amerikanischen Poetin übersetzen, zeigt Merkmale totalitären Denkens.

Dazu gibt es noch andere Beispiele, so der von "Frontal 21" im ZDF aufgegriffene Fall, ein weißer Migrationsforscher dürfe nicht über afrikanische "Identität" forschen und sich dazu äußern.

"Empathie" entspringt dem Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen. Eine unabdingbare Voraussetzung für jeden Schauspieler. Und im Sinne des Aufklärers Lessing (durch "Mitleid" - zu übersetzen als "Mitempfinden") Voraussetzung für Toleranz.

Der Satz von Thierse trifft den Nagel auf den Kopf.
Und er stellt zugleich ein vernichtendes Urteil über pseudo"linke", "identitäre" Bewegungen im Kulturkampfmodus dar.

 

MartinDietze -> Werner Engelmann , 30.4.21

Ja, genau das ist aktuell Gegenstand der Spannung, die sich innerhalb des Lagers links von der Mitte beobachten lässt.

Dass "so etwas wie" Identitätspolitik irgendwie wichtig ist, stellt erst mal keiner in Abrede. Natürlich müssen Menschen, die aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit Ungerechtigkeit ausgesetzt sind, in irgendeiner Weise eine Chance haben, sich hörbar zu machen.

Nur entwickelt sich die Sache aktuell nach Empfinden vieler in die Richtung, auf die Sie auch verweisen, nämlich eine immer stärkere Abgrenzung und Individualisierung. Auch bleibt die Frage unbeantwortet, welchen legitimen Einfluss welche Gruppen auf Entscheidungen ggf. gegen den Willen der Mehrheit haben sollten. Und erst recht: wer entscheidet, wenn legitime Forderungen einzelner Gruppen zueinander im Widerspruch stehen?

Und hier bewegen wir uns tatsächlich ein wenig weg von klassisch linker (Arbeitnehmer-) Politik, wo man immerhin von einem Konsens ausging, dass es ein gemeinsames Interesse gibt, die (materielle) Situation der Schwachen zu verbessern und ihre Chancen zu erhöhen, sich oder ihre Nachkommen irgendwann aus der Situation der "Hilfsbedürftigkeit" zu befreien. Im Dschungel der immer lauter vorgetragenen Partikularinteressen immer neuer Gruppierungen geht das zunehmend unter.

Ich will das alles gar nicht pauschal verteufeln, siehe ersten Absatz. Es scheint mir aber offensichtlich, dass hier ein Konflikt am wachsen ist. Und, das ist für mich an dieser Stelle schmerzhaft, führt es eben auch dazu, dass politische Kräfte, die in diesem Umfeld ihre Wählerbasis haben, neben allen möglichen sinnvollen Ideen auch zunehmend das mitschleppen, was ich als "linksidentitäre Folkore" bezeichnen würde.

Und die ist nicht harmlos. Ohne einen breiten Konsens in der Gesellschaft hat, wenn in die Praxis umgesetzt, eine so wahrgenommene zunehmende Überhöhung von Partikularinteressen (siehe etwa die Diskussion um die Gendersprache) eine Menge Konfliktpotential, das die schon vorhandenen Risse vergrößern und zu einer Spaltung in der Gesellschaft führen könnte.

 

Werner Engelmann ->MartinDietze , 1.5.21

"Überhöhung von Partikularinteressen (siehe etwa die Diskussion um die Gendersprache)"

Dazu die Kritik von Friedrich Merz, der das "Recht" von "Nachrichtenmoderatorinnen und -moderatoren" in Abrede stellt, "einfach mal so eben die Regeln zur Verwendung unserer Sprache zu verändern".

Damit hat er natürlich Recht.
Sie nehmen als Multiplikatoren - nicht anders etwa als Lehrerinnen und Lehrer - eine öffentlich-rechtliche Funktion wahr, die nicht privaten Einstellungen und Überzeugungen untergeordnet werden darf.
Das Gleiche gilt auch für Printmedien, selbst wenn Zeitungen in privater Hand sind: Ihr Wirken ist öffentlich, und damit auch öffentlicher Kontrolle zu unterwerfen.

Die in Rundfunk und bei einzelnen Presseorganen getroffenen internen Regelungen auf Einführung einer abweichenden Grammatik laufen nicht nur auf eine Spaltung der Gesellschaft hinaus - sie entmündigen auch andere Sprecher, die mit gleichem Recht an ihrer Muttersprache teilhaben und sich zu Recht empören.

 

Zum Vergleich mit Frankreich:

Mal abgesehen davon, dass Merz auf ziemlich plumpe Weise französische Politik für sich zu instrumentalisieren sucht (das steht auf einem anderen Blatt):
Auch sein Hinweis, dass hier "ein besseres Feingefühl für den kulturellen Wert ihrer sehr schönen Sprache" herrsche, ist richtig. Das aber ist in 4 Jahrhunderten gewachsen, wird in öffentlichen Diskursen gepflegt und ist nicht einfach so ad hoc herbei zu zaubern.

Es kennzeichnet das gebrochene Verhältnis zur eigenen Sprache, wenn in diesem Forum empfohlen wird, doch gleich auf das Englische auszuweichen. Und solche Geringschätzung der kulturellen Bedeutung der Sprache, dieser deutsche Eskapismus wird durch die missglückten Experimente der "Gendern"-Bewegung gefördert.

Dies ist ein Grund, warum ich es für notwendig halte, den Blick über den eigenen nationalen Tellerrand hinaus auf andere europäische Länder auszuweiten. Und dazu gäbe es einiges zu sagen.

Und wir könnten da ja einen Beitrag leisten.

 

MartinDietze -> Werner Engelmann , 2.5.21

Ja, das Verhalten von Nachrichtensprechern, Lehrern und Professoren kritisiere ich diesbezüglich schon lange. Öffentliche Einrichtungen haben aus meiner Sicht kein Recht, in einem aktuell kontrovers geführten gesellschaftlichen Diskurs einzugreifen.

Mir scheint es auch nicht unbeabsichtigt, wenn man z.B. an Schulen Kindern ein Sprachverständnis vermittelt, nach dem es nur noch "markierte" Gattungsbegriffe gibt und keine generischen. So hat man sich, wenn man jetzt schon nicht die Mehrheit überzeugen kann, wenigstens für die Zukunft mit der nächsten Generation die notwendige Unterstützung gesichert.

Ein großes Problem dabei ist, dass der Zugriff auf die notwendigen "Betriebsmittel", also auf Medien, die nicht nur im Internet vor sich hingammeln, sondern wirklich von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, notwendig wird, wenn man hier wirklich einen Gegengewicht zum eigenmächtigen Handeln in den o.g. Institutionen schaffen möchte.

Ich fürchte, das haben weder Sie noch ich. Das Resultat ist mehr als unbefriedigend. Ich habe nicht die geringste Lust, mich auch nur teilweise auf Leute wie Friedrich Merz zu beziehen. Gleichzeitig werden die Stimmen von echten Experten (ich denke etwa an Ewa Trutkowski), nur von einer intellektuellen Minderheit wahrgenommen.

Was tun?

 

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Die Genderfrage als Herausforderung:

Was tun?

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 3.5.21

 

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"Was tun?", Teil 1

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Diese Frage eröffnet nun ein sehr weites Feld.
Ich beginne daher mit einfacher zu klärenden Fragen:

- "Ich habe nicht die geringste Lust, mich auch nur teilweise auf Leute wie Friedrich Merz zu beziehen."

Ich auch nicht. Nur ist es genau andersherum: Es ist ein Friedrich Merz, der sich (meist in assoziativer und simplifizierender Form) auf andere "bezieht" und diese für eigene Zwecke instrumentalisiert.
Genau das habe ich im 2. Teil meiner Kritik am Artikel von Sonja Thomaser ja aufgezeigt.

Sich mit solchen Personen und vor allem ihren Instrumentalisierungs-versuchen auseinanderzusetzen ist aber notwendig, und zwar auf eine sachorientierte Weise, die nicht pauschaler Hetze vom Typ "Lügenpresse" Vorschub leistet.

Mir scheint das aber eher eines der geringeren Probleme zu sein.
Wer wen zu instrumentalisieren sucht, lässt sich für den, der es will, anhand von Argumentationsweise und Vorgehen ziemlich leicht erkennen. Das ist so wie in der Schule: Ein aufmerksamer Lehrer (oder eine Lehrerin) hat schnell herausgefunden, wer von wem abschreibt. Um im Bild zu bleiben: Auf eine solche Auseinandersetzung zu verzichten, das gleicht einem Lehrer, dem es egal ist, was von wem abgeschrieben wird, solange nur an seiner Stellung und an seinem Selbstbild nicht gerüttelt wird.

- "Mir scheint es auch nicht unbeabsichtigt, wenn man z.B. an Schulen Kindern ein Sprachverständnis vermittelt, nach dem es nur noch 'markierte' Gattungsbegriffe gibt und keine generischen."

Ich kann mir vorstellen, dass solches intendiert ist. Das wäre auch ein eindeutiger Hinweis, dass es sich hier um grundgesetzlich nicht legitimierte Versuche der Gesellschaftsveränderung durch die Hintertür handelt. Für den Schulbereich wäre hier von "Indoktrination" zu sprechen.
Dafür fehlen mir aber zur Zeit aber noch die Belege. Haben Sie dafür stringente Hinweise?

Dabei wäre

(1) zu prüfen, ab welcher Klassenstufe das überhaupt relevant wird (in der Grundschule dürfte Zeitungslektüre kaum an der Tagesordnung sein), und (2) stellt sich hier die Frage der Schulaufsicht.

Da ich nun selbst Sprachunterricht auf allen gymnasialen Klassenstufen bzw. Kursen und in allen denkbaren Konstellationen (Mutter- und Fremdsprachenunterricht) erteilt habe, kann ich versichern: Es gibt kaum einen Bereich, der derart unter öffentlicher Kontrolle steht: durch Schüler und Schülerinnen, Eltern und Schulaufsicht. "Gendern"-Ideologen dürfte sich da schnell die Finger verbrennen.

Für gefährlicher halte ich Versuche, sich eine quasi staatliche Kontrollfunktion über Sprachverhalten anzumaßen und Funktionen in staatlichen Einrichtungen (vor allem Hochschulen und kommunale Behörden) zu propagandistischen Zwecken zu missbrauchen.
Dazu gehört z.B. auch der Versuch der gegenwärtigen Duden-Redaktion, eine subjektiv begründete Norm im "Online-Duden" mit Anspruch auf gesellschaftliche Verbindlichkeit durchzusetzen, an Stelle der bisherigen Praxis der Deskription.

A propos:
Vom Duden-Kundenservice habe ich am 18.1.21 eine Nachricht über Weiterleitung meines Schreibens zur Beantwortung erhalten. Diese ist bisher nicht erfolgt und wird wohl bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf sich warten lassen. - Wie steht mit Ihrem Schreiben?

Das entspricht auch meinen Erfahrungen der gezielten Unterdrückung von Kritiken auf den angebotenen "Gendern"-Plattformen. Auf mich bezogen mindestens in 2 Fällen, von anderen habe ich Ähnliches gelesen.

(Was tun?, Ende Teil 1, Fortsetzung folgt)

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 4.5.21

 

 

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Was tun?,  Teil 2.

Politische Dimension des "Genderns"

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Vorangestellt, lieber Herr Dietze:

Sie haben meinen Vorschlag an Herrn Stukenbrok betr. eines geeigneten Forums zur Diskussion ja gelesen. Auch dies ist Teil einer Antwort, betr. "Betriebsmittel". Weitere Einzelheiten später.

 

Inzwischen weiter hier:

"Gleichzeitig werden die Stimmen von echten Experten (ich denke etwa an Ewa Trutkowski), nur von einer intellektuellen Minderheit wahrgenommen."

 

Ich verlinke hierzu zwei Texte von Ewa Trutkowski:

1) Vom Gendern zu politischen Rändern, 22.7.2020

https://www.nzz.ch/amp/feuilleton/gendergerechte-sprache-die-diskussion-ist-politisch-vergiftet-ld.1567211?mktcid=smch&mktcval=twpost_2020-07-22&__twitter_impression=true

2) Pro und Kontra "Gendern" 26.10.2020:

https://www.indeon.de/gesellschaft/pro-con-gendersprache

 

Der 1. Text zeigt eine solche exakte linguistische Argumentation, die "nur von einer intellektuellen Minderheit wahrgenommen" wird - anders ausgedrückt: gegen die viele - auch Intellektuelle - sich sträuben.

So etwa, wie brüchig der "Nachweis" mittels "Assoziationsstudien" ist. Oder, wie illusionär es ist, "durch eine veränderte Sprachnorm politische Versäumnisse heilen und soziale Realitäten umstülpen zu können" und wie Gendern polarisiert", vor allem mittels einer "einer überheblichen Gerechtigkeitsattitüde". Und Frau Trutkowski geißelt die "Tendenz, Wissen durch Haltung und Erkenntnis durch Betroffenheit zu ersetzen", sieht es als "deprimierend" an, wie die "Diskussion...vergiftet" wird, "wie wissenschaftliche Debatten durch moralisierende und politisierende Rekurse geistig enthauptet werden."

Starke, wie mir scheint, leider auch sehr zutreffende Worte. Die aber - das wäre klarzustellen - nicht nur in eine Richtung zielen.

 

Zur "überheblichen Gerechtigkeitsattitüde" gehört zu meinen, die Tendenz, nicht wissen zu WOLLEN, sei ausschließlich bei unterbemittelten Trump-Anhängern zu beobachten.

Eben dies ist auch Ausdruck einer "Identitäts-Politik", bei der subjektivistische Selbstdarstellung und Selbstüberhöhung nüchterne politische Analyse ersetzt.

 

Mir ist auch erst im Zusammenhang mit dem Thierse-Interview klar geworden, dass die "Gendern"-Debatte auch in diesen Kontext einzuordnen ist. Dass eine linguistische Analyse - so überzeugend sie sein mag - zu kurz greift, weil das jemanden gar nicht interessiert, der sich in sein Glaubens-Credo eingeschlossen hat: "Wer gendert, ist lieb und links. Wer es nicht tut – und auch nicht tun will –, böse und rechts". Schon deshalb, weil unschwer zu erkennen ist, dass eine sachlich geführte Debatte simplifizierende, sich selbst beweihräuchernde Selbst- und Fremdbilder dieser Art in Frage stellt.

Es ist ebenso zu beobachten, dass ein solcher Dialog eher von "Gendern"-Verteidigern verweigert wird, bzw. dass (so auch im ÖR) bloße Schein-"Diskussionen" stattfinden, bei denen sich jeder mal mit seinen ach so klugen Experimenten zur Sache "Sprache" austoben darf.

 

Schlußfolgerung:

Eine seriöse Debatte zu Sprache und Sprachverhalten ist immer auch eine explizit politische Debatte. Diesen Zusammenhang zu verschleiern, trägt zu Polarisierung bei und ist kontraproduktiv.

 

Ich breche an dieser Stelle ab und verschiebe die Analyse der Pro- und Kontra-Debatte auf den nächsten Teil.

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 6.5.21

 

 

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Was tun?,  Teil 3

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Bevor ich zu vorläufigen Eckpunkten einer möglichen Strategie komme, bedarf es noch einer etwas genaueren inhaltlichen Analyse der Konfliktpunkte und des ideologischen Hintergrunds an ausgewählten Beispielen.

 

Was heißt: "Eine seriöse Debatte zu Sprache und Sprachverhalten ist immer auch eine explizit politische Debatte."?

 

Zunächst zu Text (2) Pro & Contra Gendern:

https://www.indeon.de/gesellschaft/pro-con-gendersprache

26.10.2020

 

Die Contra-Position von Ewa Trutkowski wurde schon in der Analyse zu Text (1) deutlich und kann hier summarisch zusammengefasst werden:

- Sie verweist auf das bereits existierende "geschlechtsabstrahierende generische Maskulinum" in der deutschen Sprache, wobei der jeweilige Kontext eine maskuline Bedeutung davon eindeutig abgegrenzt, ein Umkrempeln der Sprache damit völlig unnötig ist.

- Sie weist die dürftige Aussagekraft der "Belege" pro "Gendern", der sog. "Assoziationsstudien", nach.

- Und sie erkennt ausdrücklich die Notwendigkeit der "Akzeptanz von Diversität" an, sieht aber die radikale Sexualisierung der Sprache durch die "Gendern"-Bewegung als "nicht nur unnötig und widersinnig" an, sondern auch als Hinweis auf sachfremde "Markierungsstrategien einer akademischen Elite".

Ihr geht es darum, den Kommunikationsbedürfnissen aller Sprecher des Deutschen gerecht zu werden und die gewachsenen Strukturen zu respektieren.

 

Ganz anders die Journalistin Antje Schrupp für "Pro":

- Sie bemüht, extrem moralisierend und mythologisierend, die 10 Gebote, um die von Luise Pusch ("Das Deutsche als Männersprache") übernommene These vom Männlichen als "Norm" und dem  Weiblichen als "Abweichung"  glaubhaft zu machen. 

- Sie sieht die "Gendern"-Bewegung als Fortsetzung des Kampfes gegen die "patriarchale Ordnung" an, wobei es "jetzt auch dem generischen Maskulinum an den Kragen geht".

- Sie äußert triviale Allgemeinplätze über Sprache überhaupt, die sich "zusammen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen" verändere.

- Und sie ergötzt sich schließlich an der "Option" eines allgemeingültigen "generischen Femininums", mit dem endlich Männer nur "mitgemeint" sind und sie sich als Frau "mal zurücklehnen" könnte.  Ob dies überhaupt realisierbar wäre, ist ihr völlig gleichgültig.

 

Peinlich genug ist hier schon der extreme Subjektivismus, bei dem sich alles um eigene Befindlichkeiten dreht, die mit längst überwunden geglaubten Denkklischees des "Geschlechterkampfes" garniert werden.

Schlimm wird es aber erst, wenn mangelndes Selbstbewusstsein therapiert werden soll mittels der Instrumentalisierung der Sprache, wenn Kommunikationsbedürfnisse einer weit über 100 Millionen Menschen umfassenden Sprachgemeinschaft in den Wind geschlagen werden - und wenn dafür auch noch das Pathos des Kampfes gegen das "Patriarchat" beansprucht wird.

Frühere Frauengenerationen haben dafür Freiheit oder gar Leben riskiert. Hier dagegen wird in einer Mischung aus Selbstüberhebung und Weinerlichkeit ein Spiel mit Sternchen und Endungen zur heroischen Tat verklärt.

Konkrete Lebensbedingungen, auch reale Veränderungen hinsichtlich "Geschlechtergerechtigkeit" kommen gar nicht mehr in den Blick. Ob die Autorin z.B. mitbekommen hat, dass eine Angela Merkel bereits viermal zur Bundeskanzlerin gewählt worden ist - dem "generischen Maskulinum" zum Trotz?

Bei solcherart hassbestimmter Fixierung auf "Männlichkeit" ist keinerlei Kompromiss, keinerlei Suche nach einem Modus Vivendi mehr möglich, ja bereits verdächtig.

 

 

Werner Engelmann -> MartinDietze , 6.5.21

 

 

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Was tun?,  Teil 4

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Und dennoch erscheint diese Position noch recht gemäßigt, vergleicht mit anderen "Beiträgen", die zur Rechtfertigung "Identitätspolitik" ins Spiel bringen.

So etwa in einem Gastbeitrag der FR von Tina Hartmann, 24.03.2021: (https://www.fr.de/meinung/gastbeitraege/rassismus-femizid-antisemitismus-frauen-minderheiten-90256124.html)

 

In kaum zu übertreffender Verallgemeinerung und Aggressivität wird hier ein direkter Bogen geschlagen von "Anhänger:innen von QAnon, Trumpisten, reaktionären Regierungen und anderen rechten Verbünden", von Verschwörungsglauben "an eine Kinderblut trinkende pädophile Elite" zur Kritik von Wolfgang Thierse. Dessen Vorwurf, "Identitätspolitik spalte die demokratische Gesellschaft" ist für die Autorin sogar "noch perfider".

Während der eigene, systematisch aufgebaute Empörungsmodus sich geradezu überschlägt, kann sie eine "wahre Tsunamiwelle an Empörung" nur bei "Zeitgenoss:innen" erkennen, die solcher Vorgehensweise kritisch gegenüber stehen - wie eben Wolfgang Thierse.

Genugtuung und Triumph findet sie aber durch Sprache: "Ultimatives Symbol für den dieser Aggression zugrundeliegenden drohenden männlichen Machtverlust ist das Gendersternchen."

Die Herrschaft über "Symbole" erspart so reale Auseinandersetzung und Kommunikation mit Menschen, die andere Erfahrungen, andere Sichtweisen haben könnten.

 

Aufschlussreich auch das unverblümte Eingeständnis solcher Instrumentalisierung von Sprache etwa bei Jens Schneider, 22.03.2021:

(https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/identitaetspolitik-der-einspruch-gegen-die-unhinterfragte-norm-90256894.html):

"Die Diskussion um genderneutrale Sprache soll herausfordern und verunsichern. (...) Diese Art der Herausforderung und Verunsicherung ist so lange nötig, bis sich die Norm und die Strukturen geändert haben."

Was er mit "Norm" und "Strukturen" meint, behält er für sich. Natürlich auch, wer mit welchem Recht andere "herausfordern und verunsichern" darf, wer darüber bestimmt, was "nötig" ist und wann es des "Guten" genug ist.

Und wie die meisten "Gendern"-Vertreter geht er wie selbstverständlich davon aus, dass über die Sprache Defizite einer "Geschlechtergerechtigkeit" schon beseitigt würden. Einer völlig unbewiesenen Behauptung, welcher selbst ein Anatol Stefanowitsch in einem Streitgespräch mit Judith Sevinc-Basad ausdrücklich widerspricht.

(https://www.deutschlandfunk.de/judith-sevinc-basad-vs-anatol-stefanowitsch-sollen-die.2927.de.html?dram:article_id=479445), 27.06.2020.

 

Nicht einmal bei elementaren Grundthesen herrscht in den Reihen der Vertretern von "Gendern" und "Identitätspolitik" Einigkeit: Was für die einen Hoffnung auf "revolutionäre" Gesellschaftsveränderung, ist für die anderen bloße Symbolpolitik.

Um die Widersprüche nicht offenkundig werden zu lassen, übt man sich in "Betroffenheits"-Rhetorik, wiederholt man unentwegt Behauptungen wie das angebliche "Bloß-mitgemeint-Sein". Und um sich vor konkreter Auseinandersetzung mit Gegenpositionen zu drücken, verbleibt man auf einer möglichst allgemeinen und schwammigen Ebene. So wie Jens Schneider bei seinem Verständnis von "Diskussion".

 

Eine "Diskussion" ist eine konkrete Auseinandersetzung MIT Menschen anderer Meinung über eine Sache. Eine solche findet gegenwärtig aber gar nicht statt.

Was man in den Medien beobachtet, sind feindselige Äußerungen ÜBER Menschen anderer Meinung, durch ein festes Feindbild geprägt, bestenfalls zusammenhanglose, mehr verschleiernde als enthüllende Statements. Streitgespräche wie das eben genannte sucht man wie eine Stecknadel im Heuhaufen. So meint auch Anna Schneider von der NZZ: "Deutschen Medien fehle es an Kontroversen. "(https://www.deutschlandfunkkultur.de/nzz-journalistin-ueber-deutsche-medien-manche-debatten.2950.de.html?dram:article_id=481502)

 

Fazit:

Die vorstehende Analyse gibt Hinweise für die Frage "Was tun?"

Sie lässt eine Zielvorstellung erkennen:  die Initiierung einer auf gesellschaftlichen Konsens gerichteten politischen Debatte über Sprache und Gesellschaft. Und sie gibt Kriterien dafür vor, um einer gesellschaftlicher Spaltung mit vorauszusehenden fatalen Folgen zu entkommen:

Respekt vor den Leistungen des Gemeinguts "Sprache", Verantwortung gegenüber allen Sprechern dieser Sprache und ihren kommunikativen Bedürfnissen, konkrete Auseinandersetzung mit Gegenpositionen in gegenseitigem Respekt und Anerkennung legitimer Zielvorstellungen.

 

Die Skizzierung einiger Orientierungslinien in der genannten Hinsicht wird Gegenstand des 4. Teils sein.

 

 

MartinDietze ->Werner Engelmann

 

Vorab schon einmal eine Antwort von mir: das "was tun?" ging von der prinzipiellen Notwendigkeit einer offenen Debatte über Sprache und Gesellschaft aus. Nur sehe ich im Moment keine Ebene, auf der sich eine solche Debatte abspielen könnte, ohne dass ein größerer Teil derer, die es betrifft und zu überzeugen gälte, "draußen" bliebe.

Nehmen wir die Webseite der FR, wo wir gerade unterwegs sind: Die Leserschaft ist typischerweise linksliberal und eher intellektuell. Ein Bruchteil nimmt an Diskussionen hier teil. Der Großteil der Menschen informiert sich anders als möglicherweise Sie und ich.

Ohne eine Thematisierung in den Massenmedien und zwar mit einer geswissen Chancengleichheit beider Seiten hat die besagte Debatte einfach keine Chance, zur Meinungsbildung der Mehrheit beizutragen. In den (von mir generell bevorzugten) ÖRs beziehen Journalisten zunehmend Stellung "pro" Gendern, indem sie das Neusprech ganz einfach in Nachrichtentexten u.ä. verwenden (und damit natürlich gegen journalistische Standards verstoßen). Die wenigen Talkshow-Auftritte, wo das mal Thema war, sind längst vergessen und haben oft an einer unglücklichen Auswahl der Gäste gekrankt, die einander selten von beiden Seiten in Sachen Kompetenz und Eloquenz ebenbürtig waren.

Ich kann nicht erkennen, dass alle Seiten ein gleich großes Interesse an einer offen und auf Augenhöhe geführten Diskussion zum Thema haben, und dadurch "gewinnen" leider die, die den besten Zugriff auf die "Betriebsmittel" - die Massenmedien - haben und sie für ihre Sache nutzen.

Daher rührt mein "was tun?".

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 7.5.21

 

 

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Was tun?, Teil 5

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Danke für die Rückmeldung, Herr Dietze! Das gibt Anlass für mich zu neuen Überlegungen und Präzisierungen. Ich verschiebe die angekündigte Fortsetzung also erst einmal, um auf den Kern Ihrer Bedenken einzugehen:

 

(1) "In den (von mir generell bevorzugten) ÖRs beziehen Journalisten zunehmend Stellung "pro" Gendern, indem sie das Neusprech ganz einfach in Nachrichtentexten u.ä. verwenden (und damit natürlich gegen journalistische Standards verstoßen)."

 

Das kann ich freilich nur bestätigen.

Ein Beleg ist z.B. das alles andere als neutrale Verhalten der Journalistin in der von mir verlinkten Diskussion des DLF, wo sie mehrfach beteuert, es gebe keine "Anweisung" seitens des Senders, nur eine "Empfehlung".

Für wie dumm hält man eigentlich die Hörer, zu meinen, sie würden nicht begreifen, was eine "Empfehlung" durch den Chef für abhängig Beschäftigte bedeutet? Und muss man sich erst bei der AfD erkundigen, wie man immer knapp unter der Grenze des juristisch Verfolgbaren bleibt?

Natürlich wird hier die Methode einer Unterwanderung im Interesse einer bestimmten Minderheit erkennbar, die mit einem Wirrwarr an unterschiedlichsten "Meinungen" garniert wird, um den Anschein von "Offenheit" zu erwecken und zugleich die eigene Methode wie auch bereits im Vorfeld geschaffene Fakten im Sinne des  "Neusprech" zu verschleiern.

Eine Methode, die mit dem Auftrag "demokratischer Kontrolle" freilich nicht vereinbar ist und zudem radikaler Hetze von "Lügenpresse" Vorschub leistet. Was dann auch nicht verwundert, wenn ein solches Thema von rechtsradikaler Seite aufgegriffen und in ihrem Sinne ausgeschlachtet wird.

Aber ebenso selbstverständlich gehört zu einer offenen Diskussion auch, solche Tendenzen aufzudecken.

Eben das war Ziel meiner voranstehenden ausgewählten Analysen.

 

(2) "Ohne eine Thematisierung in den Massenmedien und zwar mit einer gewissen Chancengleichheit beider Seiten hat die besagte Debatte einfach keine Chance, zur Meinungsbildung der Mehrheit beizutragen."

 

Dem würde ich mich nur zum Teil anschließen.

Es ist nicht entscheidend, wie viele der von der Debatte Betroffenen sich zu Wort melden, sondern dass deren Befindlichkeiten und Interessen im Diskussionsprozess vertreten werden.

Und dieser vollzieht sich wiederum in zwei Schritten:

(1) müssen diese Interessen zunächst thematisiert und den Betroffenen eine Möglichkeit gegeben werden, sich damit zu identifizieren.

(2) wäre zu diskutieren, wie über den öffentlichen Zugang hinaus auch eine größere Reichweite erreicht werden kann.

 

Dazu möchte ich hier zwei sich ergänzende Analysen anschließen, eine politische und eine linguistische.

 

 

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Politische Analyse:

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Als das Gefährlichste erscheint mir die von zwei Seiten betriebene Spaltung der Gesellschaft durch (von einzelnen wohl bewusst betriebene) Polarisierung in Form von fundamentalistischem Impetus, Pauschalisierung und Schaffung von Feindbildern.

Die übliche Unterscheidung von "Linken" und "Rechten" ist aber schon lange nicht mehr in der Lage, diese Realität auch nur einigermaßen adäquat abzubilden. Besser sind da schon die von Max Weber vorgenommene Einteilung in "Gesinnungsethiker" und "Verantwortungsethiker" sowie die bei den Grünen übliche Einteilung in "Fundamentalisten" und "Pragmatiker" - wobei ich eindeutig den jeweilig Letzteren zuneige.

Schon während des 1. Weltkriegs haben Teile der - ursprünglich "antibürgerlichen" Expressionisten den Weg nach Rechtsaußen genommen. Dies wiederholte sich bei Teilen der Erben der 68er, die zunächst in pseudo-"linken" Terror abglitten, um schließlich (wie etwa Mahler) im NPD-Schoß zu landen. Ähnliche Vermengungen zeigen sich heute bei den Quer"denkern".

Und nicht zuletzt sind Vorgehensweisen der Anhänger von "Identitätspolitik" nicht so grundlegend verschieden von denen extrem rechter "Identitärer" als sie uns gerne glauben machen möchten.

 

Diesem Teufelskreis kann man nur entgehen durch eine kritische politische Analyse, die sich nicht vor einen vermeintlich "linken" und schon gar nicht vor den rechten Karren spannen lässt.

Deren Bedeutung ist mir auch erst im Zusammenhang mit dem Thierse-Interview richtig klar geworden.

Im konkreten Fall heißt das, dass mit einer "kämpferischen" Anti-"Gendern"-Haltung der Sache ebenso wenig gedient ist wie mit Abschieben von seriösen Kritiken in die "rechte" Ecke.

 

Hoffnungslos erscheint mir ein solches Unterfangen indes nicht. Und Gelassenheit ist angesagt.

Denn durch die Verquickung mit "Identitätspolitik" hat sich die "Gendern"-Bewegung selbst einen Pferdefuss zugelegt: erkennbar im pausenlosen Herunterbeten immer gleicher "Betroffenheits"-Floskeln, so der zur bloßen Chiffre verdampften Behauptung vom "Bloß-mitgemeint-Sein".

Schon die romantische Bewegung des 19. Jahrhunderts hat gezeigt, dass Chiffren sich durch endlose Wiederholungen völlig abschleifen und letztlich ins Gegenteil umschlagen.

 

Mit dem erkennbaren Widerspruch zwischen Diskurs, Methodik und behaupteter "Sensibilisierung" für Probleme von Minderheiten diskreditieren diese Bewegungen sich selbst.

So äußert auch etwa Judith Sevinc-Basad im oben verlinkten Streitgespräch, sich durch die wehleidige "Gendern"-Rhetorik als Frau "beleidigt" zu fühlen, und ähnlich Nele Pollatschek.

Auch in meinem Bekanntenkreis kenne ich keine Frau, die ihr Selbstbewusstsein von "Sichtbarkeit" solcher Art abhängig machen würde, die zudem teilweise in Lächerlichkeit umschlägt.

 

Und nicht zuletzt erscheint mir die Emanzipation von Frauen zu weit fortgeschritten (und mein Respekt vor ihnen auch zu groß) um anzunehmen, dass solchen unausgegorenen Konzepten auf Dauer Erfolg beschieden sein könnte.

 

(Fortsetzung mit der linguistischen Analyse im Teil 6)

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 8.5.21

 

 

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Was tun? - Teil 6:

Linguistische Analyse

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Die folgende linguistische Analyse ergänzt die vorausgehende politische Analyse und versucht, Antworten auf zentrale Fragen zu geben:

(1) Voraussetzungen und Wirkungsmomente der Sprachveränderung,

(2) Gründe für Verweigerungshaltung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber "Gendern"-Experimenten,

(3) Möglichkeiten eines alternativen, mit grammatischen Prinzipien kompatiblen Ansatzes zur Integration gesellschaftlicher Weiterentwicklungen in die Sprache

 

Zu (1) Voraussetzungen und Wirkungsmomente der Sprachveränderung

 

In der überwiegenden Zahl an Verlautbarungen der "Gendern"-Bewegung degeneriert der Hinweis auf Sprachveränderung zur trivialen Floskel zum Zweck der Rechtfertigung des eigenen Ansatzes. Wirkliches Interesse an den bestimmenden Kräften, die Sprachveränderung bewirken, ist nirgendwo zu erkennen.

Um diese auszumachen, muss man auf die entscheidende Veränderung in der deutschen Sprachgeschichte, die Entstehung des Neuhochdeutschen in der Folge der Bibelübersetzung durch Martin Luther zurückgehen.

 

Die herausragende sprachschöpferische Bedeutung der Luther-Bibel, die sprachlich auf der sächsischen Kanzleisprache aufbaut, beruht auf einem sehr einfachen Grundprinzip Luthers: dem Volk „auff das Maul sehen“.

Damit schuf er ein herausragendes Dokument für "lebendiges, gesprochenes Deutsch", das über die engen regionalen Sprachgrenzen hinaus für jedermann verständlich war, Identifikation für breite Massen erlaubte und für den gesamten deutschen Sprachraum integrierend wirkte.

(Vgl. dazu Wikipedia, "Lutherbibel", Abschnitt "Luthers sprachschöpferische Leistung").

Demokratisierende Tendenzen vorwegnehmend, beschämt Luther mit dieser sprachreformerischen Leistung anmaßende selbsternannte "Sprachreformer" der Gegenwart, die in ihrer willkürlichen Methode und dem spalterischen Vorgehen das gerade Gegenteil einer echten Sprachreform erkennen lassen.

Er belegt zugleich die unumgänglichen VORAUSSETZUNGEN für eine rational und emotional angemessene und damit akzeptable SPRACHREFORM:

- Respekt vor der originären Sprache des Volkes,

- Möglichkeit der Identifikation und des Ausdrucks eigenen Sprechhandelns für die gesamte Sprachgemeinschaft,

- Respektierung gewachsener innerer Strukturen der Sprache.

 

Zu (2) Gründe für Verweigerungshaltung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber "Gendern"-Experimenten

 

Deutlich vor feministischen Untersuchungen zu Differenzen zwischen "Frauensprache" und "Männersprache" wies die Soziolinguistik, aufbauend auf Forschungen des britischen Soziologen Basil Bernstein, in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unterschiedliche schichtenspezifische Ausprägungen des Sprechens innerhalb einer Nationalsprache nach.

Waren die ersten Ansätze noch von Geringschätzung des vermeintlich defizitären "restringierten Codes" der Unterschicht gegenüber der Norm des "elaborierten Codes" der Mittelschicht geprägt, so versuchte man bald, den jeweiligen Eigengesetzlichkeiten gerecht zu werden und sprach nun von "kontextgebundenem" und "kontextunabhängigem Sprechen".

Das "kontextgebundene Sprechen" der Unterschicht konzentriert sich auf die wesentlichen Inhalte der Botschaft und deren Bewertung, lässt alle im Kontext bereits vorhandenen Elemente weg oder drückt diese nonverbal (durch Mimik und Gestik) aus.

 Ist dies auch eine ungenügende Grundlage für eine Schriftsprache, die in der Regel ohne situativen Kontext auskommen muss (daher das Konzept "kompensatorischen" Sprachunterrichts in der Vorschule), so hat es durchaus auch Vorzüge: Die eigene Auseinandersetzung mit der Umwelt und Problemen erhält den Vorrang gegenüber der - oft opportunistischen - Anpassung an formale Regeln in der typischen Mittelschichtsprache.

Die Beurteilungskompetenz von Unterschichtsprechern ist dabei keineswegs so "defizitär", wie von Überlegenheitsdünkeln geprägte Angehörige der Mittelschicht es oft wahrhaben möchten. Ein Sachverhalt, den eine zunehmend von Intellektuellen geprägte SPD in Form von Abwendung der traditionellen Arbeiterschaft in Scharen auf leidvolle Weise erfahren hat.

In anderen Worten:

Sprache hat für Angehörige der Unterschicht eine viel elementarere Bedeutung: Sie ist Teil der eigenen Person, des eigenen Denkens und Urteilens. Das Aufoktroyieren von Sprachexperimenten durch eine arrogante, sich als "Elite" dünkende Minderheit wird als ein Akt der Entmündigung, ja der Enteignung empfunden, gegen den man sich mit Händen und Füßen wehrt - und das mit vollem Recht.

Diese elementaren Sachverhalte kann jeder erfahren, der einen respektvollen Umgang mit solchen Menschen pflegt. Die Tatsache, dass solche Erkenntnisse - von der Sprachwissenschaft schon vor Jahrzehnten befördert - zugunsten der Verabsolutierung eigener Befindlichkeiten von einer "Elite", vornehmlich in Medien, ignoriert oder beiseite gewischt werden, macht deutlich, welcher Eskapismus hierzulande bereits Einzug gehalten hat.

Es zeigt aber auch, wie gering, langfristig gesehen, die Chancen für die Durchsetzung einer "identitären" Sprachenpolitik erscheinen - es sei denn, man greift auf diktatorische Mittel zurück.

 

Damit verbunden ist zugleich ein Appell insbesondere an Medienverantwortliche, sich der Prinzipien und Aufgaben einer "Vierten demokratischen Gewalt" wieder bewusst zu werden, ein Forum zu bieten für eine breite und offene, nicht präjudizierte Diskussion über die Möglichkeiten  sachlich begründeter Anpassung unserer Sprache an weiter entwickelte gesellschaftliche Gegebenheiten: in Hinblick auf eine Sprachreform, welche die unter (1) genannten Grundvoraussetzungen dafür respektiert.

 

Ende Teil 6, Fortsetzung der linguistischen Analyse, Nr.3, in Teil 7.

 

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 10.5.21

 

 

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Was tun? - Teil 7:

Linguistische Analyse,3

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Zu (3)

Möglichkeiten eines alternativen, mit grammatischen Prinzipien kompatiblen Ansatzes zur Integration gesellschaftlicher Weiterentwicklungen in die Sprache

 

Schon an früherer Stelle habe ich auf die Notwendigkeit verwiesen, Diskussionen und Erfahrungen in anderssprachigen Ländern einzubeziehen, um einer verengenden Nabelschau zu entgehen.

Das Beispiel der Diskussion in Schweden zeigt, wie nicht nur Versachlichung der Diskussion, sondern auch gesellschaftlicher Konsens bei scheinbar sich unversöhnlich gegenüberstehenden  Positionen befördert werden kann: 

https://gfds.de/gendering-im-schwedischen/

 

Hier heißt es:

"Gendering ist ein besonders schwieriges Thema in einer Sprache wie dem Deutschen, wo ein Unterschied zwischen maskulinen und femininen Substantiven gemacht wird. Im Schwedischen ist dieses Problem insofern gelöst, als dass die zwei Genera Maskulinum und Femininum in ein gemeinsames Genus Utrum zusammengefallen sind. Dies führt dazu, dass frühere maskuline Wörter wie läkare ›Arzt‹ und lärare ›Lehrer‹ nicht mehr als maskulin kategorisiert werden, sodass sie problemlos für sowohl Männer als auch Frauen genutzt werden können."

Auch bei "geschlechtsspezifischen Amtsbezeichnungen wie riksdagsman (wörtl. »Reichstagsmann«) ›Parlamentsmitglied‹.(...) haben sich (...) geschlechtsneutrale Varianten seit 1970 durchgesetzt".

Und selbst bei der strittigsten Frage der geschlechtsspezifischen Pronomina "han ›er‹ bzw. hon ›sie‹" wurde eine Lösung gefunden: "Seit 2000 hat sich aber ein neues, geschlechtsneutrales Pronomen ausgebreitet, hen."

 

Es stellt sich die Frage, ob solche Lösungen in der von der Struktur her ähnlichen deutschen Sprache nicht auch möglich wären. Diese Frage ist eindeutig mit "Ja" zu beantworten - vorausgesetzt, man verabschiedet sich von "identitären" Vormeinungen und Instrumentalisierung der Sprache zu subjektivistisch oder ideologisch geprägten Zwecken.

 

Dies setzt des weiteren voraus, dass man den Erkenntnissen Rechnung trägt, die sich in der modernen strukturalen Linguistik längst durchgesetzt haben und die von Soziolinguistik, Psycholinguistik und Forschungen zum Spracherwerb bestätigt werden:

Die etymologische Herkunft von Wörtern und von grammatischen Kategorien ist für das Bewusstsein und den Sprachgebrauch von AKTUELLEN SPRECHERN völlig unerheblich. Bewusstseinsinhalte entstehen beim Prozess des Spracherwerbs einer jeden Generation immer neu, und dieser Prozess wird von GEGENWÄRTIGEN gesellschaftlichen Bedingungen und Bedürfnissen geprägt.

 

Nichts anderes bedeutet de Saussures Grundmerkmal "arbitraire du signe" (Willkürlichkeit des Zeichens).

Auf die Diskussion um das "generische Maskulinum" bezogen heißt das:

Dieser Begriff ist irreführend und sollte aus der Diskussion verschwinden. Denn linguistisch handelt es sich bei der geschlechtsneutralen Bedeutung etwa bei Redewendungen wie "zum Arzt gehen" und der geschlechtsspezifischen Unterscheidung zwischen "Arzt" und "Ärztin" um zwei grundsätzlich völlig unterschiedliche, durch den Kontext klar unterschiedene Gebrauchsweisen. Dass diese in der Form zusammenfallen, ist dem grundlegenden Prinzip der Sprachökonomie geschuldet, das vielfach, z.B. auch bei Homonymen, festellbar ist. (Vgl. auch die voranstehenden Ausführungen über kontextgebundenes Sprechen).

Ein einfacher Mensch drückt, wenn er "zum Arzt gehen" will, ausschließlich sein Bedürfnis nach Hilfe aus. Und wenn er sich anschließend bei der ortsansässigen Ärztin einfindet, ist es für ihn ebenso selbstverständlich, sie mit "Frau Doktor" anzureden.

Es ist ein übergriffiger, wenn nicht aggressiver Akt, wenn die gegenwärtige Duden-Redaktion sich anmaßt, durch Neudefinition des Begriffs "Arzt" dessen geschlechtsneutrale Bedeutung zu eliminieren, wenn sie den genannten Menschen per definitionem zwingen will, ärztliche Hilfe auf die feminine Form "zur Ärztin gehen" zurückzuführen und sie mit "Frau Doktorin" anzusprechen.

"Identitäre" Sexualisierung  der Sprache verletzt nicht nur grundlegende Sprachprinzipien, sie greift auch in bevormundender Weise in das Alltagsleben der Menschen ein.

 

 

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Was tun? Teil 8:

Vorschläge für eine rational bestimmte,

gendergerechte Sprachreform

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Ausgehend von dem schwedischen Modell, hat eine unvoreingenommene gesellschaftliche Diskussion über Sprache eine Unterscheidung in zweierlei Hinsicht vorzunehmen:

(a) aufzuzeigen, wo Kompromisslinien in Hinblick auf einen Sprachgebrauch erkennbar sind, der die Kommunikationsbedürfnisse aller Mitglieder der Sprachgemeinschaft berücksichtigt, und

(b) zu benennen, wo in deren Interesse und zum Erhalt gewachsener innerer Strukturen der Sprache eine Abwehr von fragwürdigen "Reform"versuchen einzusetzen hat.

(Vgl. die in Teil 3, linguistische Analyse, 1 aufgeführten Kriterien)

 

Zu (a) Kompromisslinien:

 

(a1) Uneingeschränkt anzuerkennen ist das grundsätzliche Plädoyer für Sprachveränderung:

Die Sprachentwicklung hinkt der gesellschaftlichen Realität hinterher und bedarf infolgedessen einer regelmäßigen Anpassung, in diesem Fall bezogen auf die Entwicklung weiblicher Emanzipation.

(a2) Sensibilisierung für "Geschlechtergerechtigkeit" ist prinzipiell zu begrüßen, dies erfordert aber zugleich eine Einschränkung der expliziten "Sichtbarmachung" auf die Kontexte, bei denen das Geschlecht überhaupt eine Rolle spielt.

(a3) Dies bedeutet, dass die prinzipielle Gleichheit der Geschlechter vorrangig ist, die in der weit überwiegenden Zahl der Fälle ein geschlechtsneutrales Verständnis, also gerade Verzicht auf überflüssige "Sichtbarmachung" verlangt.

(a4) Die Interpretation vermeintlich "maskuliner" Bedeutungen als geschlechtsübergreifend ist eine Frage der Spracherziehung, die in Übereinstimmung zu bringen ist mit aktuellem Geschlechterverständnis.

(a5) Gegen verkürzende "Gendern"-Begriffe ist so lange nichts einzuwenden, als sie grammatisch korrekt sind ("Wissenschaftler:innen", aber nicht "Ärzt:innen" oder gar "Mitglieder:innen") und (entsprechend a2) sinnvoll im Kontext verwendet werden.

(a6) Auch gegen eine evt. sprachliche Ergänzung, welche das grammatische System nicht sprengt, wäre nichts einzuwenden. So etwa eine geschlechtsneutrale Form zu "er" und "sie". Im Plural erübrigt sich das sowie, weil es jetzt schon nur die geschlechtsneutrale Form "sie" existiert.

 

Zu (b) Abwehr inakzeptabler Verallgemeinerungen und Exzesse:

 

(b1) Eine durchgehende Sexualisierung der Sprache unter Berufung auf ein angebliches "Recht auf Sichtbarkeit" (Anatol Stefanowitsch) widerspricht dem von der "Gendern"-Bewegung selbst proklamierten Ziel der "Gendergerechtigkeit" im Sinne der prinzipiellen Gleichheit der Geschlechter. Dies ist entschieden abzulehnen.

(b2) Die mythologisch und psychologisch abgeleitete Behauptung, Frauen seien bei bereits bestehenden geschlechtsneutralen Begriffen lediglich "mitgemeint"entbehrt der linguistischen Grundlage und ist unbrauchbar.

(b3) Strategien, die Geschlechterbenennungen umgehen wollen, sind auf Praktikabilität und Nutzen im Sinne der prinzipiellen Gleichheit der Geschlechter zu überprüfen.

Der proklamierte und bereits vielfach praktizierte Ersatz gebräuchlicher Begriffe durch nominale Partizipialkonstruktionen ("Studierende" statt "Studenten") ist in dem Maße entschieden abzulehnen, in dem er Bedeutungen verfälscht oder trivialisiert, eine Vielzahl von Begriffen und wesentliche Differenzierungen aus dem Sprachgebrauch eliminiert und die deutsche Sprache erheblich ärmer macht.

 

Anmerkungen:

 

- zu (b3):

Den hier angesprochenen Versuch der "Verschlimm-Besserung" halte ich für einen weit gravierenderen Eingriff in das funktionierende System des Deutschen als selbst die unkontrollierte Sexualisierung, da die fatalen Folgen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Dies bedarf noch ausführlicher Untersuchung.

In welche Richtung diese Untersuchungen diese Untersuchungen gehen sollten, habe ich im Bronski-Blog  am 27.1.2021 ausgeführt (Teil 3: Leistung des "generischen Maskulinums" und Deutsch als Sprache der Philosophie: http://frblog.de/lf-20210118/#comment-61233)

 

- zu (b2):

Der Ursprung dieser zum Schlachtruf im Sinne eines Geschlechterkampfs avancierten Behauptung findet sich in Luise Pusch, "Das Deutsche als Männersprache" (von Anatol Stefanowitsch als "bahnbrechend" und quasi zur "Bibel" der "Gendern"-Bewegung erklärt). Diese "Untersuchung" negiert fundamentale Erkenntnisse der modernen Linguistik, ist gekennzeichnet durch methodischen Eklektizismus und strotzt vor mythologischen und willkürlichen Setzungen.

Merkwürdigerweise ist - bei einer Fülle von Artikeln in Zeitungen keine ausführliche Kritik auffindbar. Die differenzierteste Kritik findet sich bei Rezensionen bei amazon

(https://www.amazon.de/Das-Deutsche-als-M%C3%A4nnersprache-feministischen/dp/3518384155/ref=sr_1_1?dchild=1&hvadid=80607978470884&hvbmt=be&hvdev=c&hvqmt=e&keywords=luise+pusch&qid=1620673421&sr=8-1 ),

(Musikfreund, 21. März 2019: "Vorurteilsfreies, kritisches Lesen anzuraten.")

 

Eine eigene differenzierte methodische Kritik steht noch aus. Ansätze dazu sind in der Veröffentlichung auf meiner Website erkennbar (Zugang über Google: "FR-Forum, Kommentare" + mein Name, "Zum Problem des Genderns im Deutschen")

 

Damit endet die (vorläufige) politische und linguistische Analyse.

Anzuschließen wären im folgenden 9. Teil noch Überlegungen zur Frage der Verbreiterung der Diskussionsbasis und zu methodischem Vorgehen.

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Werner Engelmann -> MartinDietze , 21.5.21

 

 

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Was tun?. Teil 9 (Ende):

Überlegungen zu Handlungsstrategien

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Lieber Herr Dietze, es bedurfte aufgrund familiärer und anderer Umstände einer längeren Pause.

Um nun zu einem vorläufigen Schluss zu kommen, erst einmal eine Zusammenfassung der Ergebnisse:

 

(1) Die linguistische Analyse (Teil 6 und 7) hat gezeigt, dass in linguistischer Hinsicht die Voraussetzungen für eine sachgerechte Anpassung der Sprache an aktuelles Verständnis von Geschlechter-gerechtigkeit, entsprechend dem schwedischen Modell, durchaus vorliegen. Und in den Ausführungen zu (a) und (b) (Linguistische Analyse 3, Teil 7) habe ich mögliche inhaltliche Ziele und Kompromisslinien aufgezeigt.

Allerdings muss festgestellt werden, dass zur Zeit kaum Bereitschaft zu einer unaufgeregten, ideologiefreien Diskussion besteht. Eine Strategie kann dementsprechend nur langfristiger Art sein. Kurzfristig stellt sich die Frage, welche organisatorischen Maßnahmen geeignet erscheinen, eine solche Bereitschaft zu fördern.

 

(2) Die politische Analyse hat gezeigt, dass die Haupthindernisse in nicht ausgewiesenen ideologischen Prämissen und der Verweigerung eines vorbehaltlosen Dialogs von beiden Seiten begründet sind. Dazu kommt auf Seiten der "Gendern"-Bewegung eine Unterwanderungs-Strategie, welche Sichtweisen und Interpretationen einer (sich elitär fühlenden) Minderheit als quasi "naturgegeben" vorgaukelt, auf demokratisch nicht legitimierte Weise zu verbreiten und Fakten zu schaffen sucht.

Wer den legitimen Kommunikationsinteressen aller Mitglieder der Sprachgemeinschaft entsprechen will, muss Irrtümer und Begrenztheiten solcher Vorgehensweisen aufzeigen sowie realistische Gegenkonzepte erarbeiten.

 

Die Einschätzung, dass die genannten Strategien langfristig wenig erfolgversprechend erscheinen, kann sich auf historische Erfahrungen stützen:

Selbst Versuche totalitärer Eingriffe durch die Nazis konnten die Sprache nicht nachhaltig verändern. Auf den Zusammenbruch der NS-Ideologie folgte die entschiedene Kritik der verordneten Sprachregelungen, so im "Wörterbuch des Unmenschen" (von Sternberger-Storz-Süskind, 1957), und darauf nach und nach auch deren Rücknahme.

 

Nachhaltigen Bestand haben kann nur, was den tatsächlichen Bedürfnissen und Überzeugungen der überwältigenden Mehrheit der Sprachgemeinschaft entspricht.

Durch gravierende Fehleinschätzungen und Fehlleistungen desavouiert die "Gendern"-Bewegung aber sich selbst und verstärkt lediglich den Widerstand dagegen.

 

Dazu seine einige Beispiele angeführt:

 

- "genderleicht.de" und "gendern.de":

Die beiden Internet-Plattformen - erstere vom "journalistinnenbund", gefördert vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - verstehen sich als angeblich sachliche "Berater" in "Gendern"-Fragen, treten aber tatsächlich als Kampforgane der Pro-"Gendern"-Bewegung auf.

Mit beiden habe ich in Form sachlicher Kritik Kontakt aufgenommen.

Verdi-Journalistinnen von "genderleicht.de" beschieden mir, dass für überholte Kritik kein Platz mehr sei. Das heißt: Alles längst entschieden, es geht nur noch um die Durchsetzung. Wo und in welchen Kreisen die angebliche "breite Diskussion" stattgefunden haben soll, wird nicht erwähnt. Eine mögliche Diskussion über vereinzelt erkennbare Bemühungen um "sensiblere Sprache" und einige Vorschläge dazu wird so von vornherein verhindert.

 

"gendern.de" hielt es gar nicht erst für nötig, kritische Anmerkungen zur Kenntnis zu nehmen und ließ diese schlicht verschwinden. Die Voreingenommenheit einer fingierten "Pro"-"Kontra"- Debatte lässt sich schon von Schülern mit Anfängerkenntnissen in Argumentation erkennen.

Dazu präsentieren die selbst ernannten "Sprachreformerinnen" (vorerst) ein "Wörterbuch" von 4.492 Begriffen, die angeblich aus dem Sprachgebrauch zu tilgen seien. So etwa: "Staatsbürger", zu ersetzen durch  "Staatsbürgerschaftsinhabende", "Hauslehrer", dafür "Zuhauselehrernde" oder "Agenten", dafür "Engagementvermittelnde".

 Wie eine Jahrhundertreform ohne elementares Sprachgefühl und Gespür für Lächerlichkeit bewerkstelligt werden soll, bleibt ihr Geheimnis. Hochmut kommt vor dem Fall.

 

- Dass selbst die neueste Duden-Redaktion eine über 100 Jahre alte Tradition "deskriptiver",  somit neutraler Bestandsaufnahme - die dessen Renommee begründet - auf den Müllhaufen wirft, sich durch willkürliche Neudefinitionen der "Gendern"-Ideologie anbiedert, wurde bereits thematisiert. (Vgl. linguistische Analyse 3, Teil 7)

 

Trügerisch ist allerdings die Hoffnung, dass es auf der Gegenseite sehr viel anders zugeht.

So nimmt die "Gesellschaft für deutsche Sprache", welche sich selbst als gesammelter "Fachverstand" versteht und sich die "Reinhaltung" der Sprache auf ihre Fahnen geschrieben hat - ohne jegliche Begründung - eine dezidierte Bewertung vor und lehnt überwiegend die "Vorschläge" der "Gendern"-Bewegung ab.

Doch ausgerechnet der schlimmsten der sprachlichen Verirrungen, mit der diese im deutschen Wortschatz wütet, die Sucht nach substantiverten Partizipien (als vermeintlich bessere "Ersatzformen") wird das Plazet erteilt. Von der Frage der Ästhetik abgesehen: Von "professionellen" Sprachliebhabern ist es offenbar zu viel verlangt, über zerstörerische Folgen nachzudenken, wenn Tausende exakt definierter Begriffe und notwenige begriffliche Unterscheidungen per Handstreich aus dem Sprachgebrauch eliminiert werden, Bedeutungen bedenkenlos verschoben und verordnet werden. (https://gfds.de/standpunkt-der-gfds-zu-einer-geschlechtergerechten-sprache/#, Nr. 3a).

(Vgl. dazu Was tun?. Teil 7: Linguistische Analyse,3, Anmerkungen zu (b3).)

 

Die vorgenannten Beispiele eines desolaten Umgangs mit der eigenen Sprache werfen die Frage auf, wie methodisch und organisatorisch eine Schein-"Diskussion" unter der Ägide verhärteter "identitärer" Ideologie entkrampft und in einen rationalen Diskurs übergeführt werden kann.

 

Als weiteres Hindernis stellt sich heraus, dass bedenkenswerte Ansätze einerseits lediglich punktuell und disparat erfolgen, andererseits bei unterschiedlichsten Presseorganen oder Internet-Foren zu finden sind. Und diese werden zusätzlich durch unselige Polemik verschüttet, aber auch durch aufgemotzte Berichterstattung über lächerliche "Vorschläge" (namentlich in Medien, in denen "Gendern" selbst praktiziert wird).  

Nicht nur fehlt eine Zielorientierung, sondern auch ein Überblick über sinnvolle Ansätze.

 

Es wäre Aufgabe der mit Kultur befassten Ministerien, eine solche sachbezogene, ideologisch unvoreingenommene und überparteiliche Plattform allen Bürgern und vornehmlich mit Sprache befassten universitären Kreisen zur Verfügung zu stellen.

Demgegenüber ist die Förderung erkennbar ideologisch ausgerichteter Plattformen wie "genderleicht.de" als missbräuchlich anzusehen.

Dies gilt umso mehr, als Verlautbarungen aus Kreisen der AfD, die "Gendern"-Problematik zum Wahlkampfthema zu machen, erkennen lassen, wie die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird. Es stellt sich die Frage der politischen Gesamtverantwortung gewählter Volksvertreter für die Gesellschaft wie auch einer zivilen Mitverantwortung aller Angehörigen der Sprachgemeinschaft.

 

Es wäre zu diskutieren, welche Initiativen geeignet erscheinen, Prozesse der Bewusstwerdung und des Handelns in der vorgenannten Weise anzuregen.

Meinerseits erscheint nicht die Zahl der am Diskussionsprozess Beteiligten entscheidend, sondern die Forderung, dass sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung vor der Sprachgemeinschaft im ganzen bewusst sein müssen:

Sprache ist das wertvollste Werkzeug der Kommunikation und zugleich Teil der Identität aller, die an ihr teilhaben. Es gibt keine Person und keine Gruppe, die sich anmaßen dürfte, "Besitzer" der Sprache zu sein und über sie verfügen zu dürfen.

 

Persönliche Konsequenzen

 

Im Rahmen des mir Möglichen fasse ich ins Auge, Material in der oben genannten Weise zu sichten und zu ordnen und dies - zunächst - auf meiner eigenen Website einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. (FR-Forum, Engelmann)

Dies soll die Dokumentation von Diskussionen und Überlegungen wie den vorstehenden (möglichst in gestraffter Form) ergänzen.

 

Ich bitte Sie, lieber Herr Dietze, zu diesem Zweck mir ganz oder teilweise die Veröffentlichung auch Ihrer Beiträge zu gestatten. (Dies gilt auch für andere User, etwa "cashmerewolle").

 

Die weitere Diskussion wird zeigen, in welchem Maße weitere Schritte wie etwa Kontaktaufnahme mit universitären oder politischen Kreisen sinnvoll erscheinen. Ebenso etwa eine (noch ausstehende) umfassende kritische Auseinandersetzung mit den brüchigen theoretischen Grundlagen der "Gendern"-Bewegung (wie Luise Pusch: Das Deutsche als Männersprache).

 

Ich danke an dieser Stelle Herrn Stukenbrok für das Entgegenkommen, mangels anderer Möglichkeiten einen solchen extensiven Diskurs in diesem Forum zuzulassen, der mir gerechtfertigt erscheint, solange keine besseren Möglichkeiten angeboten werden.

 

Werner Engelmann, 21.5.2021

 

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